Von Jörg Phil Friedrich, 22.02.2023

Debatte (4): Optimismus oder Zuversicht?

Man muss aufpassen, dass man nicht nur über Begriffe streitet, und der Gedankengang eines Buchs lässt sich nicht in wenigen Zeilen zusammenfassen. Den Optimismus von Arno Tilsner, der in Handorf möglichst energieautark werden will, teile ich - ich bezeichne ihn aber eher als Zuversicht. Die motiviert ihn genauso wie mich dazu, die konkreten Probleme anzugehen in der Überzeugung, dass es dafür eine Lösung geben wird. Fortschrittsoptimismus hofft und wartet hingegen eher auf Wissenschaft, Technik und Politik, die es richten sollen und die uns irgendwie voran bringen in eine bessere Welt. „Wir schaffen das!“ ruft der Optimist Ruprecht Polenz und meint wohl, wir müssten nur mehr Vertrauen in die Politik haben, dann würde sich alles zum Besseren wenden. Das muss man bezweifeln, nicht, weil einer Politikerin nicht zu trauen ist, sondern weil sie über die komplizierte Welt auch nicht mehr weiß als die meisten von uns. Erst recht weiß sie nicht, wann die nächste Pandemie beginnt, welche Nebenwirkungen die nächste hoffnungsvolle Technologie hat und wo demnächst ein Krieg ausbricht.

Die postoptimistische Gesellschaft ist nicht weniger demokratisch als die optimistische, im Gegenteil. Heute scheinen Wissenschaft und Politik zum Erfolg verdammt, die Erwartungen sind gewaltig und viel größer als das, was die Leute in den Instituten, Laboren, Parlamenten und Konferenzen leisten können. Wenn Wissenschaft und Politik sich selbst und uns nicht mehr einreden müssen, dass sie die Dinge schon hinkriegen werden, können wir wieder ehrlicher zueinander sein und den Leuten in der Politik wieder die politischen Entscheidungen zutrauen.

Zuversichtliche Leute brauchen keinen Fortschritt, sie brauchen Ideen für die Herausforderungen des Tages. Allerdings braucht auch Arno Tilsner leistungsfähigere Technik mit Rohstoffen aus afrikanischen Minen, er hängt noch in den Netzen der Globalisierung mit allen Folgen. Er braucht noch den Fortschrittsoptimismus, von dem wir uns – das ist meine Überzeugung – allmählich verabschieden müssen. Wir kommen davon allerdings nicht von einem Tag zum anderen los, und zur Zuversicht gehört auch, dass moderne Technik uns auch weiterhin helfen kann. Aber sie schafft auch zwangsläufig immer neue Probleme und Abhängigkeiten. In der postoptimistischen Gesellschaft können wir uns daraus lösen, weil sie nicht unsere einzige Hoffnung ist, weil wir zuversichtlich werden, auch mit weniger Technik gut klarzukommen. - Jörg Phil Friedrich


Das Buch "Die postoptimistische Gesellschaft: Warum es keinen Grund für Optimismus gibt – und was dennoch Hoffnung auf ein gutes Leben macht" von Jörg Phil Friedrich erscheint am 13. März 2023 im Herderverlag. Einen Blick ins Buch gibt es hier.


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