Von , 15.06.2011

Josef Joffe war von 2001 bis 2004 Chefredakteur der ZEIT und ist heute ihr Herausgeber. Keine ganz unbedeutende publizistische Stimme also, mit der er zu Pfingsten unter dem Titel "German Angst" sich öffentlich die Frage stellt: "Warum die panische Atomwende?" Die Antwort, die er am Ende seines Gedankenganges findet: "Wer wenig Sorgen hat, hat umso mehr Angst" oder "German angst comes from German glueck". Glück?

Ja! Vor einer Woche saß ich mit einem anderen German zusammen auf einem Holzsteg, der einige Meter in einen See gebaut ist. Herrlicher Sonnenschein von strahlend blauem Himmel, dazu eine leichte Brise, die das Wasser um uns herum zu kleinen Wellen kräuselte. Was uns über 30 Jahre verbindet: wir tun in unseren Leben, wozu wir Lust haben. Dass wir dabei mit besonderer Freude in unseren eigenen Unternehmen arbeiten, 'finden wir in Ordnung'.

Der See, in dem wir saßen, ist nicht wirklich ein See, obwohl dann und wann wilde Enten herbei fliegen, um auf der einige 100 Quadratmeter großen Wasserfläche herum zu paddeln. Tatsächlich saßen wir auf dem Dach einer großen Lagerhalle mitten in Münster, 50 Schritte von einem mit Arbeit beladenen Schreibtisch entfernt. So treffen wir uns ab und an, um uns über den Schabernack zu freuen, den wir in unseren Leben treiben. Wie aus einem Mund kam vor einer Woche die Feststellung: "Wir haben Glück gehabt".

Das Glück begann schon in der Schule. Als wir in sie eintraten, war sie von der Autorität eines Oberstudiendirektors geprägt, wie ihn nur das German-Gymnasium des letzten Jahrhunderts hervorbringen konnte; als wir sie verließen ein kleines bisschen auch von uns.

In meiner Interpretation der dort vermittelten humanistischen Leitidee drängt es mich heute, Josef Joffe die zentralen Begriffe seines Artikel behutsam aus der Hand zu nehmen mit der Frage, ob nicht auch ein anderes Arrangement plausibel ist: Angst kann man auch Vorsicht nennen in dem Sinn, dass man nicht die Augen vor möglichen Ereignissen in der Zukunft verschließt.

Vorsicht ist im wahren Wortsinn die Sicht nach vorn in die kommenden Möglichkeiten, auch die, die so unangenehm sein können, dass sie uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Unsere (humane) Fähigkeit zur Vorsicht - wenn wir sie nicht als Angst ins Unbewusste verdrängen - gibt uns die Chance, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Wir selbst sind es, die mit unserer Vorsicht dem Glück helfen, noch ein Weilchen bei uns zu verweilen.
So komme ich am Ende dieser kurzen Überlegung zu einem anderen Fazit als der ZEIT-GEIST: German glueck comes from German vorsicht. - Arno Tilsner

Archivtexte Presseausweis

Beiträge 2011