Von , 29.06.2011

Diesen Presseausweis schreibe ich auf dem Boden eines der 4 PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien). Mit einem Blick zur Seite schaue ich aus der tagsüber stets offenen Haustür aufs Mittelmeer. Geradeaus auf dem Bildschirm lese ich, was Helmut Schmidt jüngst über die in ihrer Überschuldung am weitesten fortgeschrittene PIGS-Volkswirtschaft Griechenland denkt: "Am Ende dieses Jahrhunderts werden wir Europäer nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Deshalb müssen die Nationen und die Staaten Europas zusammenhalten! Deshalb braucht Griechenland – selbst im extremen Fall eines Staatsbankrotts! – ein über lange Zeit greifendes Programm, weit über Finanzhilfen hinaus. Das Programm muss orientiert sein an Leitideen wie Beschäftigung, Produktivität und Volkseinkommen. Es muss den griechischen Bürgern eine Wohlstandsperspektive eröffnen." (Zeit-Online, 22.06. 2011 "Griechenland gehört zu uns")

Und was ist mit der Wohlstandsperspektive, die Europas Mittelmeerstaaten uns Deutschen eröffnen? Haben wir ihre Dörfer, Städte und Strände nicht millionenfach als Urlauber besucht? Sollte die von der internationalen Finanzindustrie ausschließlich zur Maximierung ihrer Gewinne ausgerufene Krise des Euros für uns nicht ein Weckruf sein, uns in Europa als Europäer zu fühlen? Was die Mittelmeerregion betrifft, ist das übrigens eine durch und durch sonnige Perspektive :-))

Bei dem seit Einführung des Euros überfälligen europäischen Integrationsprozesses wäre es für uns Deutsche hilfreich, aus der Übernahme der DDR vor 20 Jahren die Lehre mitgenommen zu haben, dass die Qualität einer Vereinigung im Zusammenwachsen von Wertsystemen mit neuer Perspektive liegt, nicht im Auslöschen des einen durch die Übernahme des anderen.
Es ist beileibe kein Zufall, dass seit dem Beginn des
Deutschen Wirtschaftswunders die Bundesbürger mit Vorliebe die schönsten Wochen des Jahres an Mittelmeerstränden verbringen. Hier treffen sie eine Lebensart, die ihnen vor allem deshalb besonders gefällt, weil sie so herrlich undeutsch ist.

Keinesfalls sollten wir uns durch Panikmache der 3 Ratingagenturen- es sind wirklich auf der ganzen Welt nur drei mit Sitz in New York (Moody's, Standard & Poor's und Fitch Ratings) - zu dem Versuch hinreißen lassen, den Mittelmeerraum im Interesse des Euros einzudeutschen. Besser wir lehren die Finanzindustrie, sich nicht asozial in unserer guten Gesellschaft zu verhalten. Dafür müssen wir den Mumm aufbringen, uns zusammen schützend vor unsere griechischen Nachbarn zu stellen, auch vor die Portugiesen und andere, die im Milliardenpoker der internationalen Finanzindustrie nicht den Hauch einer Chance haben.

Mit den Methoden eines Wolfsrudels werden Volkswirtschaften isoliert, getötet und aufgefressen. Wie naiv muss man sein, um zu glauben, dass es den Angreifern um Griechenland, Portugal oder Irland geht.

Mag sein, dass es den Europäischen Staaten in dieser Woche gelingt, für weitere 100 Milliarden eine kurze Ruhe vor der nächsten Angriffswelle aus New York, London und Frankfurt zu erkaufen. Diese Zeit sollten wir Europäer nutzen, um den zivilisationsverachtenden Geldanbetern, die in Glas-Beton-Türmen auf ihren Bildschirmen für Millionen Menschen Schicksal spielen, zur unausweichlichen nächsten Runde das Gesetzbuch und nicht das Scheckbuch zu zeigen. - Arno Tilsner

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