Von , 07.03.2012

Mit Anfang 20, in den ersten Studienjahren, begann ich an gute und schlechte Gewalt zu glauben. Als politisch engagierte Studierende wähnten wir uns im Häuserkampf. Wir wollten bezahlbaren Wohnraum aus Spekulantenhand befreien, statt dass er in deren Hand herunter gewirtschaftet, mutwillig baufällig gemacht und anschließend unter Polizeischutz abgerissen wurde. Mit guten Zielen erschien uns unser Einsatz legitim. Beim Abriss eines Hauses stand aus unserer Sicht die Polizei auf der Seite der Spekulanten.

40 Jahre später stehe ich am Samstagmorgen am Bahnhof Nord und sehe den 20 jährigen Demonstranten in einer kleinen Gruppe an, dass sie an gute und schlechte Gewalt glauben. Schlechte Gewalt haben die Nazis im Kopf, deren Aufmarsch von der Polizei geschützt wird, statt dass die Demonstranten sich ihnen mit guter Gewalt (keinen Meter den Nazis) am Bahnsteig in den Weg stellen können. Also müssen die jungen Menschen erstmal die Polizeisperre überwinden, um am Bahnsteig ihre gute Mission zum Erfolg zu führen.

Déjà-vu fällt mir dazu ein und dass ich die Überwindung meines radikalen Irrglaubens mit einer Menge Lebenszeit bezahlt habe. Möglicherweise vor diesem Hintergrund habe ich heute diese klare Meinung: es gibt in unserer freiheitlichen Demokratie genau eine gute Gewalt: die Polizeigewalt. Die Polizei hat im Inneren auf Gewalt ein Monopol, so haben wir es untereinander vereinbart. Wenn eine gesellschaftliche Gruppe also angesichts eines genehmigten Nazi-Umzugs ihr Handeln unter das Motto "keinen Meter den Nazis" stellt, kann sie dieses Ziel nur erreichen, wenn es ihr gelingt, der Polizei das Gewaltmonopol zu entreißen. Daran wird die Polizei sie mit Gewalt hindern.

Nicht die Beamtinnen und Beamten nehmen sich diesen Auftrag heraus, wir haben ihn ihnen gegeben. Deshalb schlage ich vor, einen nächsten Umzug, der möglicherweise kommen wird, mit der doppelten Zahl Bürger/innen unter dem Motto zu begleiten: 0,00 Gewalt von unserer Seite! - Arno Tilsner

vergangenen Samstag, 03.03., Hoher Heckenweg / Ecke Piusallee


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