Von , 05.09.2012

Wenn der Hindenburgplatz mir über 5 Jahrzehnte ein vertrautes Stück Münster war, in dem ich über den Namensgeber nicht weiter nachgedacht habe, ein demokratischer Ratsbeschluß den Platz zum Schlossplatz gemacht hat und ich nun entscheiden soll, ob der Ratschluss aufgehoben und der Platz weiter Hindenburgplatz heißen soll, komme ich nicht umhin, mir ein Urteil über den Namensgeber zu bilden.

Auf dem Weg zu einer Entscheidung mehr aus dem Kopf als aus dem Bauch bedanke ich mich ausdrücklich für eine Nachhilfestunde in deutscher Geschichte bei Dr. Thies Schulze von der WWU, der auf die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 hingewiesen hat. Brandverordnung hörte sich für mich zunächst ganz harmlos an. Ich dachte an einen Aushang, auf dem vermerkt ist, an welchen Stellen im Reichstag sich welches Löschgerät befinden muss, wer im Brandfall in welcher Reihenfolge informiert wird, wie das Gebäude zu evakuieren ist, etc., etc..

Weit gefehlt. Reichstagsbrandverordng ist der Kurzname für eine "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat", verkündet und damit in Kraft gesetzt nicht einmal 24 Stunden nach dem Brand im Reichstag am Vorabend. Unterzeichner dieser Verordnung sind:
Der Reichspräsident von Hindenburg,
Der Reichskanzler Adolf Hitler,
Der Reichsminister des Innern Frick,
Der Reichsminister der Justiz Dr. Gürtner.
Die vier Unterzeichner lassen niemanden im Unklaren, was sie mit dieser Verordnung bezwecken.

Deren erster Satz lautet: "Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet:" Und weiter: "§ 1:Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reichs werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig."

Es folgen in deutscher Gründlichkeit 5 weitere Paragraphen, mit denen die Republik in eine Diktatur verwandelt wird. Letzter Paragraph: "Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft." Verkündender ist Reichspräsident Paul von Hindenburg am selben Tage. Nach dieser Verordnung nimmt die Willkür in Deutschland gesetzlich legitimiert ihren Lauf, bis sie von den Alliierten nur mit einem Bombenhagel beendet werden kann. - Arno Tilsner

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