Von , 31.10.2012

Helen und Julius - 2. Teil

Helmer Ammermann beschrieb mir, wie er spontan zu Ellen in den Buchladen ging, nachdem er meinen vorletzten Presseausweis zu Tanja Langers Roman "Der Tag ist hell, ich schreibe dir" gelesen hatte. Die Buchhändlerin wunderte sich über die plötzliche Nachfrage nach dem Titel, denn er war nicht der erste Interessent. Mich erinnerte Helmers Mail an meinen Vorsatz, noch einen zweiten Text über dieses Buch zu schreiben, der nicht da endet, wo der Roman uns hin führt, sondern dahin führt, wo diese Geschichte beginnt.

Julius und Helen begegnen sich und entwickeln eine Freundschaft und Liebe, wie es sie zwischen einer 19 jährigen Abiturientin und dem 52 jährigen späteren Vorstand der Deutschen Bank eigentlich nicht geben kann. Die beiden verstecken Ihren verliebten Gedankenaustausch nicht vor ihrer Umwelt. Mit selbstbewusster Selbstverständlichkeit wischen sie auf ihre eigene Art Konventionen und Altersunterschied vom Tisch, um sich in den 8 Jahren ihrer Freundschaft eine radikale Freiheit zu nehmen und zu geben.

Alfred Herrhausen (alias Julius Turnseck) wird in seinem Lebenslauf am 30. November 1989 brutalst möglich mit einer Sprengladung gestoppt. Uns - die wir seinerzeit das politische Geschehen verfolgten - brennt sich an diesem Tag das Bild seines zerbombten Dienstwagens tief in das Unterbewusste ein.
Mit Helens autobiographischem Roman steigt 33 Jahre später Julius Turnseck aus den Trümmern der gepanzerten Limousine: "Sie müssen mir schreiben, ich bitte Sie ganz dringend". Es ist seine Aufforderung aus ihrer ersten Begegnung, die fast ein halbes Jahrhundert später nichts von ihrer Kraft verloren hat. Die Geschichte von Hellen und Julius rückwärts erzählt, wird zu einem Beispiel, wie wir mit Gedanken, Worten und Entscheidungen unsere Welt liebevoll gestalten. Ich bin verblüfft, mit welcher Nonchalance die Romangestalt sich zu mir ins Leben stellt, mit der ruhigen aber deshalb nicht weniger eindringlichen Aufforderung, mich in meiner Kommunikation mit Andersdenkenden auf einem anderen Level noch einmal neu zu erfinden. - Arno Tilsner

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