Von , 28.11.2012

Tatsächlich! Diesen Presseausweis schreibe ich auf 2 Grad 0 Minuten westlicher Länge und 36 Grad 53 Minuten nördlicher Breite. Im erdkundlichen Sinn bin ich auf einer Exkursion. Münster hingegen wird auf 7 Grad 37 Minuten östlicher Länge und 51 Grad 57 Minuten nördlicher Breite verortet.

Wenn ich das System der Breitengrade richtig verstehe, befinde ich mich im Moment ca. 15 Grade näher am Äquator, als wenn ich in Münster vor einem Bildschirm säße, wobei hier - von diesem südlichsten Punkt Europas - bis zum Äquator noch einmal mehr als die doppelte Anzahl an Breitengraden zu überschreiten wäre.

Die Vorbemerkung führt mich zu zwei Schlussfolgerungen: 1. Nordeuropa - besser Norddeutschland - liegt aus globaler Sicht verdammt weit nördlich. 2. Ein sehr großer Teil der weltweiten Landmasse liegt näher am Äquator als der südliche Teil Europas.

Menschen sind Landbewohner. Nur ca. eine Milliarde Menschen leben in der gemäßigten Zone nördlich der Subtropen, wenn man die Subtropen als das Gebiet zwischen den 35. Breitengraden definiert. Sechs der sieben Milliarden leben demzufolge in subtropischen und tropischen Gebieten - Tendenz steigend.

Es liegt auf der Hand, dass Nordmenschen mit anderen Verschaltungen in den Gehirnen ihren Alltag konfektionieren als Südmenschen. Im eigenen Interesse wären wir aus dem Norden Europas gut beraten, südlicher zu denken. Nicht nur könnten wir unseren eigenen Kontinent besser verstehen, wir kämen auch auf eine passendere Augenhöhe zum überwiegenden Teil der Menschheit.
Sobald wir uns aus ähnlicher Augenhöhe auf dem Globus umschauen, können wir möglicherweise genauer Leistungen und Produkte entwickeln, die unsere vielen Millionen Mit-Menschen 1. gebrauchen und 2. bezahlen können.
Das wäre wichtig, weil es auf Dauer keinen Sinn macht, aus dem vergleichsweise dünn besiedelten Norden Kapital in die dicht besiedelten Subtropen und Tropen zu pumpen, damit eine kleine Ober- und Mittelschicht dort unsere Wegwerf-Gesellschaft nachbildet, während Milliarden Männer, Frauen und Kinder zu erbärmlichen Löhnen sich erbärmliche Lebensverhältnisse erarbeiten und damit - bei freiem Welthandel - eine konkurrenzfähige nicht vollautomatisierte Produktion im Norden unmöglich machen.

Die Folgen werden gerade wieder als so genannte Rettungspakete für Griechenland und andere südeuropäische Länder im Bundestag diskutiert. Da Südeuropa seine Währungen wegen der Einführung des Euro nicht auf das Niveau von Bangladesh abwerten kann und europäische Gewerkschaften erbärmliche Arbeitsverhältnise wie die in Indien und China nicht zulassen, hat man die letzten 10 Jahre in Europa nachhaltige Beschäftigung über Kreditfinanzierung vorgetäuscht. Dafür wird gerade die Rechnung geschrieben und nach den Wahlen im nächsten Jahr zu einem großen Teil aus deutschen Steuergeldern bezahlt. Ich will dagegen hier nicht polemisieren, nur liegt auf der Hand, dass es so nicht weiter gehen kann. - Arno Tilsner

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