Von , 02.04.2014

Arno Tilsner - "Es wird eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik geben"

Arno Tilsner

Ein typisches Merkel-Statement, das in der letzten Woche über die Nachrichten-Ticker lief. Was steckt dahinter? Es ging um die Gasversorgung Europas, genauer um Russland als Hauptlieferant.


Amerika war die kontinentale Selbstversorgung Europas mit Erdgas bis dato keine weitergehende Überlegung wert. Man war im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Jahrzehnte selbst auf massive Energieimporte angewiesen. Die Situation hat sich vollkommen geändert. Die USA werden - dank Fracking - in Kürze zum größten Öl- und Gaslieferanten der Welt. Die Krim-Krise und aus ihr folgende Wirtschafts-Sanktionen bieten dem kommenden Marktführer (USA) die Gelegenheit, sich als guter, verlässlicher Energielieferant zu empfehlen. Gleichzeitig wird Russland als böser - gleichwohl verlässlicher - Energielieferant geschwächt.

Aus amerikanischer Sicht macht es Sinn, Russland, dessen Staatshaushalt vom Öl- und Gasexport abhängt - in den Ruin zu treiben. Die Strategie hatte schon bei der Zerschlagung der Sowjetunion unter Ronald Reagan per Wettrüsten funktioniert. Jetzt zieht der Friedensnobelpreisträger Barack Obama die Karte „gefrackte Energie“.

dichter Verkehr in Deutschland

Zur politische Bewertung der Lage an dieser Stelle nur so viel: ich lebe außerordentlich gerne im süd-westlichen Teil Europas und würde mich sehr freuen, wenn die hier entwickelte friedliche, offene, demokratische Gesellschaftsordnung fortbestehen und weiter entwickelt werden kann. Dafür brauchen die Menschen viel Energie.


Im Hinblick auf das vorgenannte Ziel reicht es nicht, die Abhängigkeit von Russland durch eine von Amerika zu ersetzen, um den Planeten mit noch mehr fossilem Brennstoff, der jetzt mit großen Mengen giftiger Chemie aus dem Boden gepresst wird, aufzuheizen. Ich plädiere entschieden für eine süd-west-europäische Selbstständigkeit bei der Energieversorgung. Eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik ist dafür unerlässlich. Da es um unsere individuelle und gemeinschaftliche Zukunft geht, sollten wir uns an dieser Diskussion beteiligen. Statt nur zu fragen wo bekommen wir die viele Energie her, halte ich es für noch wichtiger, zu überprüfen, wie wir mit Energie umgehen?

Schauen wir in die Praxis: Wir haben in den letzten 24 Monaten parallel zwei Renault Kangoo als Lieferwagen für die na dann… Verteilung eingesetzt; den einen treibt ein Diesel- den anderen ein Elektromotor an. Laut Bordcomputer verbraucht die E-Version im städtischen Lieferverkehr 20 kWh pro 100 km, der Diesel 7 Liter. Die 7 Liter Diesel entsprechen einem Energieäquivalent von 70 kWh.

Spannende Frage: wenn ein ähnlicher Kleintransporter im einen Fall 20 kWh für 100 Kilometer braucht und der andere 70 kWh, wo bleiben die 50 zusätzlichen kWh des Diesels? Antwort: sie werden größtenteils in Wärme umgesetzt.

Ca. 43 Millionen Kraftfahrzeuge in Deutschland mit 600-800 Milliarden gefahrenen Kilometern gönnen sich die Verschwendung mit der für die Fortbewegung eingesetzten Energie zu 2/3 bis 3/4 die Umgebungsluft zu erwärmen. Sinnvoller wäre es, die Kraftfahrzeuge würden mit Elektromotoren betrieben und die Verbrennungsmotoren stünden in den Wohn- und Bürohäusern, Geschäften und Fabriken.

In den Haushalten Nordeuropas wird nämlich zwischen Anfang Oktober und Ende März Wärme dringend gebraucht. So könnte die eingesetzte Energie in den Verbrennungsmotoren im Winter wesentlich effizienter eingesetzt werden: 2/3 als Heizung und 1/3 zur Stromerzeugung. Damit ließen sich nachts - wenn zwar Wärme aber weniger Strom gebraucht wird - die Akkus in den Fahrzeugen für den nächsten Tag laden.

Dabei geht zwar bis zu 50% der elektrischen Energie verloren, aber bezogen auf die Summe von Wärme plus Strom liegt der Verlust bei nur rund 17%, denn von dem Wärmeanteil geht nichts verloren.

Im Sommerhalbjahr - wenn keine Heizung gebraucht wird - bleiben die meisten der 43 Mio Klein-Kraft-Werke außer Betrieb, weil Solardächer mit kleinen Pufferspeichern bis hoch in den Norden Europas die Energieversorgung übernehmen. Und wenn die Sonne nicht genug scheint, laufen nur in den bewölkten Regionen just in time die Motoren.

Alle Bestandteile dieser Energiewende werden heute schon gebaut und im Alltag benutzt. Die Wende besteht darin, die Aggregate energieeffizient zu platzieren: Verbrennungsmotoren (statt Heizung) in die Häuser, Elektromotorem zur Fortbewegung in die Kraftfahrzeuge. Eine Revolution, die die Physikerin Angela Merkel mit großem Sachverstand anführen könnte, auch wenn sie von der CDU und nicht von den Grünen ist. Ihre Profession könnte so für Europa ein Segen werden. - Arno Tilsner

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