Von , 16.04.2014

Andreas Degenkolbe

Andreas Degenkolbe

Was haben Uli Hoeneß, die Ukraine und das EU-Parlament gemeinsam?


Lässt Hoeneß seine Bayernspieler auf die Krim marschieren, eröffnen EU-Parlamentarier nun Schwarzmeer-Konten in der Ukraine?

Nein - nichts dergleichen. Gemein haben sie aber den öffentlichen Meinungskollaps, dokumentiert in Leserbriefspalten und besonders im Internet: Jeder verbreitet zu den genannten Themen seine mehr oder minder informierte Meinung, die Themen nehmen Fahrt auf und finden oft ihren Höhepunkt im entfesselten Mob.

Keiner der Online-Kommentatoren hat die Gerichtsakten aus Hoeneß' Fall gelesen, war vor Ort auf dem Majdanplatz, der Krim, oder ist Fachkraft für Völkerrecht. Trotzdem meinen alle, genau Bescheid zu wissen.
Guckt man hinter die Kulissen dieser Meinungsäußerungen, um zu prüfen, welche Fakten, welche Informationen hier vorliegen, so findet man eine kategorische Ablehnung jeglicher Medienberichte. Egal ob TV, Radio oder Zeitung, alle unsere Medien werden in Bausch und Bogen als gleichgeschaltet bezeichnet. Woher haben die "Medienkritiker" also ihre Infos, woher ihr Königswissen?

Schaut man genau hin, sieht man das Grauen: z. B. aus kritiklos übernommenen Mitteilungen staatlicher Presseagenturen anderer Länder, sprich den P.R.-Abteilungen von Regierungen, oder aus anonym, ohne Impressum verbreiteten Phantasmagorien irgendwelcher Blog-Flöten.
Woher kommt diese Ablehnung "der Medien" bei gleichzeitiger kritikloser Annahme doch offensichtlicher P.R-Behauptungen und Verschwörungstheorien?

Viele haben die Fähigkeit verloren, Quellen zu prüfen. Mehr noch: es wird oft nur der vermeintlichen Information geglaubt, die in das eigene Weltbild passt, die eigene Ressentiments bestätigt. Gleichzeitig will man besonders sein, nicht zum Mainstream gehören, will seine "10 MInuten Ruhm", demonstrativ als Teil einer weisen Minderheit.

Dabei sollte doch, logischem Denken folgend, der Prozess der Meinungsbildung ergebnisoffen betrieben werden.

Die Wurzel jeder Verschwörungstheorie und der persönlichen Radikalisierung: Nur glauben, was in den Kram passt, alles andere ausblenden, plus das sich selbst bestätigende Gefühl, der einsame Rufer in der Wüste zu sein. Orientierungslosigkeit, gepaart mit Geltungssucht. Auf allen "Seiten".
Unglücklicherweise nutzen Interessengruppen eben genau diesen Social Media Effekt, aus politischen und/oder merkantilen Interessen. Zu jeder getwitterten Botschaft eines Revolutionärs, dessen Volk gerade versucht, sich aus der Knechtschaft eines Despoten zu befreien, gibt es zeitgleich die Twitter-Nachricht mit gegenteiliger Aussage von jemand anderem.
Wir wissen, dass wir nichts wissen.

Gerade bei den bald anstehenden Wahlen sollten wir uns davor hüten, die überprüfbaren Quellen, die unsere Medien im Lande bieten, abzulehnen, um stattdessen Scharlatanen, Spinnern und Interessenvertretern auf den im Web ausgelegten Leim zu gehen. Denn auch politische Parteien - gerade solche vom braunen Stammtischrand - nutzen die geschilderten Umstände, um ihre unselige Saat auszustreuen. Leider lassen sich auch bürgerliche Parteien mitunter dazu hinreißen, via Web gezielt Unwahrheiten über die politischen Gegenspieler zu verbreiten. Keine gute Entwicklung.
Sicher, auch Zeitungen haben ihre jeweils eigene politische Richtung, auch hier gibt es Versuche der Einflussnahme, die bei auflagenstarken Blättern deutlich auffällt; aber genau deshalb gibt es bei uns viele verschiedene Zeitungen, um die eigene Informationssuche breit aufstellen zu können. Es gibt eben nicht "die" Wahrheit, es gibt nur ganz viele einzelne Wahrheiten; im Journalismus immanent.

Das Internet dagegen ist keine Quelle der rein und klar sprudelnden Wahrheiten, wir leben eben nicht im Informationszeitalter, sondern im Zeitalter der Behauptungen.
Web 1.0 = Zugucken
Web 2.0 = Mitmachen und Einkaufen
Web 3.0 = Intrigantenstadl.
Also: Wissen ist Macht. Deshalb sollten wir genau prüfen, woher das vermeintliche Wissen kommt - damit an die Stelle des Wissens nicht die Ohnmacht tritt.

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