Von , 21.05.2014

Ruprecht Polenz / Arno Tilsner

Ruprecht Polenz

Na dann sollten Sie sich die Sache mit dem Nicht-Wählen vielleicht doch noch mal überlegen. Schließlich riskieren in anderen Teilen der Welt die Menschen buchstäblich Kopf und Kragen, wenn sie trotz Einschüchterungen wählen gehen (Afghanistan) oder wenn sie für freie Wahlen auf der Straße demonstrieren (von Ägypten bis zur Ukraine). Vor allem Frauen haben in Afghanistan trotz Todesdrohungen der Taliban an den Präsidentschaftswahlen teilgenommen. Wir sollten unser Wahlrecht nicht geringer schätzen als diese mutigen Frauen


Am kommenden Sonntag wird nicht nur das Europäische Parlament gewählt, sondern auch der Stadtrat und die Bezirksvertretungen in Münster. Europawahl und Kommunalwahl - beide Wahlen sind wichtig (und niemand sollte von Demokratiedefiziten reden, der selbst nicht einmal zur Wahl geht).

Der Ausgang der Kommunalwahl wird die politischen Entscheidungen in Münster sogar für die nächsten 6 Jahre prägen, denn so lange dauert dieses Mal die Amtszeit derjenigen, die am kommenden Sonntag gewählt werden.
Da sollte man schon wissen, woran man dann politisch ist in den nächsten 6 Jahren. Wer die Mehrheit im Stadtrat hat und damit auch eine besondere Verantwortung für das, was politisch passiert oder eben nicht passiert. Mit anderen Worten: wir brauchen verlässliche Verhältnisse und klare Mehrheiten im Rat: für eine aktive, soziale Wohnungspolitik, für neue Arbeitsplätze, für Investitionen in die städtischen Schulen, für den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung und nicht zuletzt auch für die neue Westtribüne im Preußenstadion.

"Wechselnde Mehrheiten" ist ein anderes Wort für eine Politik des Hin und Her, des mal hüh und mal hott. Aber man bringt eine Stadt nicht weiter und nach vorn, indem man im Kreis läuft. Unklare Mehrheitsverhältnisse bedeuten eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners und von sachwidrigen Kungel- und Koppelgeschäften: ich stimme hier zu, wenn Du mir dort Deine Stimme gibst. Vor allem: unklare Mehrheitsverhältnisse im Rat kosten viel Zeit, weil anstehende Entscheidungen mangels Mehrheit immer wieder vertagt werden.
Investoren wollen aber wissen, woran sie sind. Sonst bauen sie die neuen Wohnungen eben in Osnabrück oder das neue Zweigwerk in Bielefeld. Auch die Bürger müssen bei unklaren Mehrheitsverhältnissen unnötig lange auf Entscheidungen warten.

Deshalb: gehen Sie am kommenden Sonntag zur Wahl. Sorgen Sie für klare Verhältnisse und Mehrheiten. (Sonst wissen Sie auch nicht, wen Sie an die Hammelbeine kriegen müssen, wenn im Rathaus etwas nicht richtig läuft.)

Arno Tlsner


Phantastisches Europa! Ja, das meine ich so, wie ich es schreibe. Ich kann mir keinen Kontinent und keine Epoche vorstellen, in der ich lieber gelebt hätte als im Süd-Westen Europas in der letzten Hälfte des 20. und in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Fast 70 Jahre friedliche Entwicklung haben ihre Spuren hinterlassen, nicht nur aber besonders in Deutschland. Was für uns in Münster über die Jahre selbstverständlich geworden ist - das friedliche, wohlhabende und wohlwollende Miteinander einer Stadtgesellschaft - wirkte in der ersten Maiwoche auf Luján-Maria und Maria-José wie ein Paradies europäischer Zivilisation. Tatsächlich ist der Mai in Deutschland ein außergewöhnlich sinnliches Erlebnis für Menschen, die in der andalusischen Halbwüste leben und arbeiten. Nicht nur der Regen und das üppige Grün begeisterte. Es war auch die faszinierende deutsche Geschäftigkeit, die am laufenden Band und scheinbar in aller Ruhe Ergebnisse liefert, statt 1001ne Geschichte zu erfinden, warum es heute nicht klappt.

Kein Grund deshalb in Europa als Musterschüler/Oberlehrer aufzutreten. Es wird uns aus freien Stücken viel Bewunderung entgegen gebracht, von Menschen die sich etwas abschauen möchten, von dem, wie wir unser Leben individuell und gesellschaftlich organisieren. Europa-Wahl ist für mich deshalb nicht nur die Abstimmung am kommenden Sonntag. Es ist das Glück meiner Genration, Europa als Lebensraum wählen zu dürfen statt als Kriegsschauplatz.

Ich werde am kommenden Sonntag für ein weiteres Zusammenwachsen Europas votieren. Zurück zum Nationalstaat ist für mich keine Perspektive. Wir alle werden auf dem Weg zum politisch vereinigten Europa von unseren Eigenarten etwas abgeben müssen. Alle bekommen wir auch die Chance, die Eigenarten Anderer aus- und/oder aufzusuchen.

Ups: ein friedliches Europa der Zusammenarbeit? Beim Schreiben dieses Presseausweises - wie so oft auf dem Flug zwischen Alicante und Düsseldorf - fällt mir auf: nutze ich meine Chance denn überhaupt? Seit 35 Jahren ist Andalusien für mich Heimat wie Münster, aber ich spreche die Sprache nicht. Ich könnte Basilio, den ich auf dem Weg zum Pokalspiel am Samstag auf der Dorfstraße begrüßte, diesen Text nicht übersetzen. Ich kann freundlich lächeln und Hände schütteln, die zweite Sprache meiner europäischen Heimat zu lernen, war ich bis heute zu faul. Wenn ich es vom Wahlabend an in einer Legislaturperiode nachholen würde: das wäre mal ein Wahlergebnis :)! - Arno Tilsner

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