Von , 28.05.2014

Andreas Degenkolbe Presseasuweis 1 / Arno Tilsner Presseauseis 2

Andreas Degenkolbe

Im Jahre 1949 hatte Jean Monnet eine gute Idee. Nur wenige Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, nachdem Deutschland fast ganz Europa überfallen und viele Millionen Tote zu verantworten hatte, kam er zur festen Überzeugung, dass sich Staaten, die wirtschaftlich eng zusammenarbeiten, nicht so schnell an die Gurgel gehen würden.


Um Frankreich und Deutschland wieder aufzubauen, plante er ein "Joint Venture" der Kohle- und Stahlindustrie.

Er unterbreitete seine Idee dem französischen Politiker Robert Schuman, der den Plan genauer ausarbeiten ließ. Die Montanunion war geboren, die Vorläuferin der EWG, der heutigen EU.

Es waren nicht de Gaulle und Adenauer, wie oft behauptet wird - es war der stets bescheiden auftretende Monnet.

Dieser große Europäer wäre heute erschrocken über die Ergebnisse der EU-Wahl 2014: in vielen Staaten sind Parteien aus dem rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Spektrum auf dem Vormarsch.
Verbrämt hinter vermeintlicher Euro-Kritik werden Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus und Nationalismus ins Parlament und in die Köpfe der Menschen getragen.

Die gute Nachricht: die AfD, die im Wahlkampf mit Ausländer-Ressentiments arbeitete, die auch schon mal Gegendemonstranten von Trupps bekannter rechtsradikaler Straftäter bedrohen ließ(wie vor wenigen Wochen in Münster geschehen), deren Plakatslogans mitunter Analogien zu denen der NPD aufwiesen, hat in Deutschland schwächer abgeschnitten als befürchtet.
Der Versuch der Herrschaften Merkel und Seehofer, mit dem Schüren ebensolcher Ausländer-Ressentiments dieser Partei ein paar Stimmen abzujagen, war aber ebenso hilflos wie dümmlich: das Hoffähigmachen solcher Parolen trägt weiter und schwerer als die vielleicht 0,2 %, die man damit der AfD nehmen konnte.

Die schlechte Nachricht: die rechtsextreme "Front National" unter ihrer Führerin Marine Le Pen ist in Frankreich stärkste Partei! Wären dort morgen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen - diese unverhohlenen Rassisten wären in der Regierung. Man bedenke, was dies für die Keimzelle des modernen Europa, Frankreich und Deutschland, bedeutete. Es wäre vorbei. Ende. Aus.

Auch wenn die deutsche AfD behauptet, mit den anderen europäischen Parteien von rechtsaußen keine Fraktion bilden zu wollen - was heißt das schon?

Neben dem generell angebrachten Argwohn gegenüber Versprechungen von Politikern, ist Leuten mit solch einem Weltbild nicht zu trauen. Wer sagt uns denn, dass man in Brüssel nicht doch gemeinsam unselige Tendenzen befördert, ob nun mit oder ohne Absprache?

Die Zange der Dämlichkeit greift nach Europa: auf der einen Seite die Benachteiligten, die aus Enttäuschung rechtsaußen wählen, auf der anderen Seite die Satten, die dies aus eingeredeter Angst um ihr Geld tun.
Es gilt, die Enttäuschung und die Angst zu beseitigen, indem man die EU nicht mehr als K.O.-Wettbewerb ansieht, in dem Deutschland wirtschaftlich alle abhängt und damit die Probleme erst produziert, sondern als ein Miteineinander.
Oder in Abwandlung eines Kennedy-Zitats: "Deutschland, frage nicht, was Europa Dich kostet oder Dir bringt - frage stets, was Du für die Schwächeren in Europa tun kannst..."

Arno Tilsner

Presseausweis 2


Es hat nicht viel gefehlt und die von Herrn Polenz herbeigewünschten klaren Verhältnisse im Rat der Stadt Münster wären Wirklichkeit geworden. Mit einer stabilen rot/grünen Mehrheit allerdings unter anderen Vorzeichen als von ihm erhofft. Tatsächlich ist - wie es zu erwarten war - ein sehr gemischter Wähler/innen-Wille bei der Kommunalwahl am Sonntag zum Ausdruck gekommen.

Die CDU fragt sich, wie sie so viele Stimmen verlieren konnte. Ich glaube, eine Antwort ist gar nicht schwer zu finden. Traditionell ist die CDU eine Partei der Investoren. Weil sie selbst weiß, dass es auf der Welt viel mehr abhängig Beschäftigte als Investoren gibt, hat sie seit Jahrzehnten das Mantra vor sich hergetragen, dass es der Mitte der Gesellschaft mit den vielen abhängig Beschäftigten gut geht, wenn es den Investoren gut geht. Die Idee ist gar nicht mal schlecht. Wenn man die Rolle der SPD und der Gewerkschaften dazu nimmt, war sie die Grundlage für die wohlhabende, deutsche Mittelstands-Gesellschaft.

Schräg wurde die These erst, als ausgehend von einem sich entwickelnden Turbo-Kapitalismus eine Phalanx von herz- glaubens- heimat- und bindungslosen Excel-sheet-Fahrern das Ruder in der Welt- (und damit auch in jeder Regional-) Wirtschaft übernahm. Investoren wurden auf ein neues Mantra eingestimmt: genug ist nicht genug! Oder, Warum willst Du teilen, wenn Du ALLES haben kannst? Das ist nicht christlich, sondern gierig.

Für eine christliche Partei ist die entfesselte Gier des Marktes (z.B. bei den Mieten) ein Stich ins Herz. Mag sein, dass die Gesellschaft insgesamt heute weniger christliche Orientierung hat. Aber deshalb hat sie nicht jedes Verantwortungsgefühl verloren. Die christliche Wertorientierung hatte vor einer Generation mehr anzubieten, als Wachstum und Gewinn wie Götzen anzubeten. Wird das Wahlergebnis diesen Trend wenden?

Ich glaube nicht. Münsters SPD kann sich nach der Stimmenauszählung nichts Besseres vorstellen, als die FDP - Ex-Speerspitze des Turbo-Kapitalismus im politischen Raum - in eine stabile Koalition zu bitten. Eine Interpretation des Wahlergebnisses, die mich unangenehm an die letzte Bundestagswahl erinnert.
Die Interessen lebendiger Menschen statt die des toten Kapitals in den Mittelpunkt gesellschaftlichen Handelns zu rücken, bleibt eine Forderung, die die Menschen selbst Tag für Tag an die politischen Parteien und die öffentliche Verwaltung herantragen müssen. Die Bürgerinitiative Mauritz hat in den Wochen vor der Wahl gezeigt, wie man ein Loch in die Mauer stemmt. Weiter machen, auf allen Ebenen, zu allen Themen. - Arno Tilsner

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