Von , 29.10.2014

Stefan Bergmann

Stefan Bergmann

Moin,
im Jahr 2013 wurden in Deutschland täglich 17,3 Millionen Tageszeitungen verkauft. Pro Tag. Nun gut, 22 Jahre zuvor, im Jahr 1991 waren es 27,3 Millionen. Man könnte also grob sagen, dass die Tageszeitungsauflage pro Jahr um eine halbe Million Exemplare zurückgeht. Wo soll das noch hinführen? Wird es in Deutschland bald keine gedruckten Zeitungen mehr geben?


Auch ich habe mich gefragt, ob Zeitungs-Journalismus noch eine Zukunft hat. Und wenn ja: Wie sieht sie aus? Werden alle Journalisten zu Content-generierenden Maschinen, die pausenlos alle möglichen Kanäle mit Nachrichten befeuern und dabei vergessen, was eigentlich eine Nachricht ist?
Die Gelegenheit wäre also günstig gewesen, aus dem Journalismus auszusteigen. Hinein in die wunderschöne PR-Welt, wo ja alles so viel besser ist. Mal davon abgesehen, dass das nicht stimmt (und nicht jeder Journalist automatisch ein toller Pressesprecher ist), habe ich mir gesagt: „Jetzt erst recht Journalismus!“ Und bin von der MZ nicht in eine Pressestelle abgewandert, sondern wieder in eine Redaktion, nach Emden.

Keine Branche redet sich seit Jahren so schlecht wie der Journalismus. Ein Untergangsszenario jagt das nächste, viele Propheten gefallen sich in der Rolle, das Sterben der Zeitungen vorherzusagen, weil ja alle in der Branche unfähig sind: Die Journalisten verschlafen den digitalen Wandel, die Anzeigenabteilungen schaffen es nicht mehr, die Anzeigen an den Mann zu bringen, und die Verleger, na sowieso, sie haben alles verpasst und bewegen sich noch immer nicht. Stattdessen sparen sie nur und kürzen Stellen. Soweit die Kakophonie der „Experten“, und dieses Gerede beherrscht seit Jahren die Fachdiskussion. Man stelle sich so etwas in anderen Branchen vor, beispielsweise bei den Autobauern oder bei den Lebensmitteln: Die Verbände, die Unternehmen, die Lobbyisten würden derlei öffentlicher Selbstzerfleischung und Harakiri auf Raten sofort einen Riegel vorschieben.

Nun ist Selbstkritik natürlich gut, wenn sie konstruktiv ist. Hier das ganze mal aus meiner Sicht:
Der Rückgang der Tageszeitungsauflagen hat eingesetzt lange bevor es „das Internet“ gab. Und als es zum Massenmedium wurde, hat es den Rückgang auch nicht beschleunigt. Auch die Privatsender sind nicht die Totengräber, nicht Twitter und nicht die kostenlosen Anzeigenblätter. Vielleicht muss man einfach mal konstatieren: Wenn Menschen nicht bereit sind, 30 Euro pro Monat für ein Produkt zu bezahlen - vielleicht ist dann einfach das Produkt nicht mehr gut genug. Vielleicht ist es schlechter geworden, weil sich Journalisten von dem entfernt haben, was ihre Aufgabe ist: Nachrichten verbreiten, demokratische Prozesse hinterfragen, der Wirtschaft auf die Finger zu schauen, „Wächter“ sein, für die Leser das Weltgeschehen einordnen, schwierige Zusammenhänge erläutern. So drückte es der Medienwissenschaftler Michael Haller jetzt treffend aus. Stattdessen aber boomen gerade Seminare wie „Storytelling“: Journalisten sollen lernen, Geschichten zu erzählen. Mit viel Mitleidsfaktor, bitte. Über Kinder, Tiere, ganz persönliche Katastrophen, Schicksalschläge - alles aufgehängt am Einzelfall. Alles dramatisch, alles mit Fortsetzung. Mehr Kampagne, bitte! Mehr Drama, bitte! Und bitte alles schön billig.

Ist das Aufgabe einer Tageszeitung? Wenn sich Zeitungen veronlinisieren, dann wedelt der Schwanz mit dem Hund.
Zurück zu den Wurzeln. Besinnung auf die Kernaufgaben. Das habe ich vor. Schlechter Journalismus verkauft sich weder gedruckt noch online. Weder im Münsterland, noch in Ostfriesland. - Stefan Bergmann

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