Von , 10.12.2014

Stefan Bergmann - Alle Jahre wieder: Ein bisschen Duisburg

Stefan Bergmann

Immer kurz nach Start des Weihnachtsmarktes im Rathausinnenhof gibt es ein kleines Ritual: Die Familie Köhne, Besitzerin des Imbissstandes mit den wohl besten Würstchen stadtweit, gibt eine Rutsche Bratwürstchen in die Chefetage der Stadt. Die sitzt praktischerweise nur wenige Meter über dem Markt, im Rathaus 1, 1. Etage. Friede, Freude, Vorweihnachtsstimmung. Was die Stadtoberen der Familie Könne allerdings nicht beantworten können ist die Frage: Was passiert eigentlich, wenn etwas passiert?


Im Jahr 2010 starben bei der Love Parade in Duisburg 12 Menschen, über 500 wurden verletzt. Das Problem: Viel zu enge Fluchtwege. Das Land reagierte konsequent mit strengeren Vorschriften - und die Ordnungsämter reagierten. Auch in Münster. Doch reicht das?

Blick an einem typischen Samstagnachmittag auf den Rathaus-Markt: Tausende Besucher drängen sich im engen Rathausinnenhof zwischen den Buden. 60 Geschäfte auf etwa 3000 Quadratmetern. Wer sich da hereinwagt, ist mutig. Gedränge, Geschiebe, Staus, resistente Menschentrauben vor den Glühweinständen. Feuer in einem Imbissstand - und das Chaos ist perfekt. Menschen würden sterben. Denn flüchten kann man nicht.

Rettungswege sind nur außerhalb des Marktes markiert. Nur an der Klemensstraße stehen die Buden „auf Lücke“, sodass man zwischendurch eine freie Fläche erreichen kann. Wer im Rathaus-Innenhof steht, ist verloren. Explodiert dort eine Gasflasche im Imbissstand - man würde zum Opfer der Flammen, oder der flüchtenden Masse. Wir hätten ein bisschen Duisburg in Münster

Zwar gibt es wenigstens vier Zugänge zum Markt. Doch die sind ewig verstopft, auch wenn keine Panik herrscht. Und Auswärtige finden sie nicht. Denn Hinweisschilder gibt es nicht. Der Markt ist ständig gefährlich überfüllt. Das weiß jeder, auch wenn die Akten es vielleicht anders vorgaukeln. Wer glaubt, dass man durch diese Flaschenhälse in Eile flüchten könnte?

Erstaunlich dabei ist, dass die Stadt diesen Zustand so genehmigt hat. Dass die Landesbehörden zusehen. Dass die Polizei keinen Alarm schlägt. Dass die Abteilung „Gefahrenabwehr“ der Bezirksregierung nicht hinschaut. Sie fischt jedes Jahr mit viel Aufwand dreieinhalb verbotene China-Böller aus den Supermärkten, nimmt aber in Kauf, dass im Rathausinnenhof Tausende Menschenleben gefährdet sind. Nun: Den Weihnachtsmarkt zu kritisieren, ist unpopulär in Münster. Weil er so gut funktioniert. Doch um welchen Preis? Beim Gedanken daran, schmeckt auch die gute Köhne-Wurst nicht mehr so richtig.

Und nebenan liegt der Stubengassenplatz. Viele fordern, dort einen neuen Weihnachtsmarkt zu etablieren. Das würde den Druck herausnehmen, mehr Händler hätten zudem eine Chance, sich zu präsentieren. Die Stadt aber weigert sich. Vermutlich, um vorhandene Märkte nicht zu schwächen. Das ist, mit Verlaub, kein gutes Argument.

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