The Honest John Blog

Wie Marley die britische Popkultur prägte


(Part 2)

Johnny Nash & Bob Marley, Peckham Manor School, 1972

Ein Jahr nach diesem Konzert in der Schule meines Cousins wurde der allererste Auftritt Bob Marleys im britischen Fernsehen angekündigt und zwar in der Sendung „Old Grey Whistle Test“: Das war eine Musiksendung, die sehr spät in der Nacht im Fernsehen lief, und so mussten wir natürlich unsere Eltern fragen, ob wir bis 23 Uhr aufbleiben könnten, denn das war unsere einzige Chance, diesen jamaikanischen Musiker zum ersten Mal zu sehen. Man muss verstehen, dass es damals in unserer Gemeinde überhaupt nicht vorteilhaft war, wenn sich ein Jamaikaner als „Rasta“ bezeichnete. Unsere Eltern hatten uns von diesen „dreckig aussehenden Landstreichern“ erzählt, die in den Bergen lebten und nicht arbeiteten. Niemand wollte mit ihnen gesehen werden. Und oft war es ganz normal, dass Polizisten den Rastas die Haare abrasierten, nachdem sie sie zu diesem Zweck auf den Boden gedrückt hatten. Die Rastas durften keine Banken betreten und ihre Kinder durften auch keine staatlichen Schulen besuchen. Wir Kinder fanden es toll, dass einer dieser militanten Abtrünnigen musikalisch so gut war, dass er eingeladen wurde, im britischen Fernsehen zu spielen. Wir konnten es nicht glauben!

Meine beiden älteren Schwestern und ich durften uns die Sendung ansehen. Aber komischerweise hatte mein älterer Bruder aus irgendeinem Grund überhaupt kein Interesse daran. Wir sahen gespannt zu, wie dieser kleine Mann, der wie unser Vater sprach, aber wie Jimi Hendrix aussah, eine faszinierende Show ablieferte und „Stir It Up“ sang, zusammen mit Peter Tosh und Bunny Wailer, die als „Wailers“ zum ersten Mal gemeinsam im Fernsehen auftraten. Als wir am nächsten Tag zur Schule gingen, sprachen alle über Marleys Auftritt und wie er aussah. Wir konnten nicht darüber hinwegkommen, dass er Lieder sang, die uns direkt sagten, dass wir dem Establishment nicht trauen sollten und dass es besser für uns wäre, die Dinge auf unsere Weise zu tun und aufzuhören, denen zu vertrauen, die uns anlügen. Wir waren überglücklich, als Island Records ankündigte, zum ersten Mal ein Album von Bob Marley herauszubringen.

Bob Marleys Auftauchen in der weißen britischen Musikszene brachte äußerst diverse Gruppen zusammen: Schwarze Jugendliche, stolze Rastas und Punks, die sich 1975 bei seinen Konzerten im Londoner Lyceum Theatre gegenüberstanden, begegneten sich, um ihre Enttäuschung über das System kundzutun. Nach Marley begann man, Reggae als Musik voller Substanz und Innovation ernst zu nehmen, während man Reggae zuvor bestenfalls als etwas Neues behandelte oder einfach nur als unsinnige Musik mit dummen Texten darstellte. Die Reggae-Hits, die es Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in die britischen Pop-Charts schafften, schienen diese Vorurteile nur zu verschärfen. Der bekannte Radiostar Tony Blackburn bezeichnete diese Musikrichtung als „Unsinn“ . Und das, obwohl das britische Publikum Desmond Dekkers „Israelites“-Song in die Top 10 der britischen Pop-Charts aufgenommen hatte. Eingängige Nummern wie „Return of Django“ von den Upsetters spiegelten die Beliebtheit von Reggae bei Skinheads wider, was angesichts der rassistischen Tendenzen der Skinheads gegenüber Schwarzen seltsam anmutet. Britische Reggae-Gruppen gab es anfangs nur wenige. Bands wie die Cimarons dienten in erster Linie dazu, Gaststars aus Jamaika zu unterstützen oder es wurde erwartet, dass sie eher ein Gemisch aus Soul-Hits als aus Reggae lieferten. Das schwarze Großbritannien zog es wie Jamaika vor, über das „Sound-System“ (Disco) und den „Blues Dance“ (eine Hausparty mit Eintritt) über die neuesten Veröffentlichungen auf dem Laufenden zu bleiben. Das „Sound-System“ spielte schon lange eine zentrale Rolle im jamaikanischen Leben und bot Rückzugsmöglichkeiten und eine Bühne für angesagte Musik, meist mit zusätzlichen Kommentaren von Talk-Over-DJs wie Dennis Alcapone und Big Youth. Sound Systems waren mit anderen Worten Google und YouTube von heute. In Großbritannien war es auch die einzige Möglichkeit, Reggae zu hören. Weder im Radio noch bei Live-Musik spielte Reggae eine Rolle.

Für uns als Kinder der „Windrush“-Generation wurde Reggae zu einem Untergrundkodex des Trotzes, Teil des Strebens nach Selbstständigkeit und Anerkennung. Wir lehnten die Vorsicht und Zurückhaltung ab, die unsere Eltern in einem diskriminierenden Umfeld an den Tag legten. Wir waren die Rebellengeneration – Reggae gab uns unsere eigene Identität und wir wollten sie unbedingt bekommen.

Im nächsten Artikel werde ich erläutern, warum in meiner Jugend Skinheads überraschenderweise auch schwarz und nicht nur weiß waren.

(Honest John, März 2024)

Autor: Honest John

Bisherige Beiträge (bis 05.08.2020)

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