Von , 29.03.2017

Interview mit Dr. Daniele Ganser

Dr. Daniele Ganser

Am 20. März hielt Dr. Daniele Ganser im ausverkauften Hörsaal des Fürstenberghauses in Münster einen Vortrag über NATO-Operationen und
Journalismus. Der Historiker aus Basel erforscht Konflikte und Kriege. Bekannt wurde er durch seine Promotion über das verdeckte NATO-Netzwerk in Europa, das in den 1980er Jahren hinter Bombenattentaten in verschiedenen Ländern steckte. In seinem aktuellen Buch geht es um die Kriege der NATO, die fragwürdige Legitimation der UN-Vetomächte, die Hintergründe des Syrienkrieges und die Rolle der Medien. Wir führten mit Dr. Ganser nach dem Vortrag ein telefonisches Interview:


Herr Ganser, Kriege beginnen heute so, dass Länder nicht mehr von außen überfallen, sondern von innen destabilisiert werden, z.B. durch so genannte „NGO’s“, die einen „Regime Change“ herbeiführen, kann man das so sagen?

DG: Ja, allerdings sind es nicht nur NGO’s, sondern auch Geheimdienste und Spezialkräfte, die rivalisierende Banden unterstützen. In den Medien werden diese dann als „gemäßigte Rebellen“ bezeichnet.

Dabei ist das schon in Afghanistan schiefgegangen, weil durch US-Unterstützung der Mudschaheddin der militante Islam erst entstanden ist.

DG: Nun ja, aus Sicht der USA ist das überhaupt nicht schiefgegangen, weil Russland dadurch den Krieg in Afghanistan verloren hat. Das zählt.

Friedensnobelpreisträger Obama hat nach dieser Methode den ganzen Nahen Osten angezündet, was von unseren Medien in fassungslos machender Naivität als „arabischer Frühling“ begrüßt wurde.

DG: Manche scheinen tatsächlich geglaubt zu haben, die Entwicklung würde einen Durchbruch in Richtung Demokratie und Menschenrechte bedeuten. Das Paradigma vom ‚humanitären Krieg‘ ist aber schlicht falsch. Es gibt keine ‚humanitären‘ Kriege; es gibt auch keine liebevolle Vergewaltigung.

Im Grunde führen die USA seit 150 Jahren alle Kriege nach demselben Muster: Es wird ein Buhmann aufgebaut und dann ein Anlass gesucht, auf den Buhmann einzuschlagen. Im Fall des Irakkrieges war der Buhmann „Der Irre von Bagdad“, Saddam Hussein. Doch Sie sagen: In Wahrheit geht es im Hintergrund um Geopolitik – und die ist im Grunde Energiepolitik, denn es geht um Öl und Erdgas.

DG: Genau. Wenn man die Historie betrachtet, war Saddam natürlich ein Psychopath, aber die CIA hat diesem Psychopathen 1979 erst zur Macht verholfen, damit er den Iran von Chomeini angreift. Die USA haben den ‚Irren Saddam‘ also gezielt benutzt, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. So ein nützlicher ‚Irrer‘ wird aufgebaut und bewaffnet – und wieder ausgeschaltet, wenn er nicht mehr folgsam ist oder außer Kontrolle gerät, so wie auch Bin Laden. Darum sage ich auch: Syrien ist ‚Afghanistan 2.0‘.

Bei der Bewaffnung rivalisierender Gruppen in Syrien durch westliche Quellen ist man ganz dicht bei einem anderen Forschungsthema von Ihnen, nämlich staatlich inszeniertem Terror…

DG: Ja genau, aber das ist in der aktuellen Geschichtswissenschaft ein sehr heißes Eisen. Wenn die USA Assads Gegner bewaffnen, unterstützen sie den Terrorismus. Wenn Sie oder ich Al-Kaida oder dem Islamischen Staat Geld und Waffen geben, kommen wir ins Gefängnis. Warum darf ein US-Präsident das? Das ist völlig illegal! Das hat übrigens die US-Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard aus Hawaii auch gesagt.

Obwohl der damalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti im staatlichen Untersuchungsausschuss zu den Attentaten von Bologna 1980 die Existenz einer geheimen NATO-Struktur zugab, werden Hinweise darauf reflexhaft als „Verschwörungstheorie“ abgetan. Ihre Antwort darauf?

DG: Das Wort Verschwörungstheorie (oder „VT-Frame“) ist ein Kampfbegriff, der eingesetzt wird, um kritische Forschung in eine Ecke mit Spinnereien wie „Elvis lebt“ zu stellen. Ich kann nur entgegnen: Ich habe sehr genau und wissenschaftlich recherchiert. Aber wenn ich den Einsturz von WTC 7 am 11. September 2001 anspreche, heißt es sofort: Ach, der Ganser untersucht Verschwörungstheorien… Unsere Massenmedien widersprechen grundsätzlich nie der NATO-Presseabteilung. Im Ukraine-Konflikt wurde das besonders deutlich: An allem waren „die Russen“ schuld… Und je öfter Sie nun lesen, ‚Wir müssen den Terrorismus bekämpfen‘, desto offensichtlicher werden Sie manipuliert, denn wenn die USA rufen, ziehen unsere Massenmedien in den Krieg.

Wie kann ich mich als Medienkonsument davor schützen?

DG: Vergrößern Sie die Bandbreite: Lesen Sie alles von „Russia today“ bis Spiegel Online, von alternativen Blogs bis zur Mainstreampresse. Vergleichen Sie selbst und denken Sie daran, dass nicht immer nur die einen lügen und die anderen Recht haben.

Sie sagen, hintergründig geht es um Energiefragen, wie aktuell um eine geplante Gas-Pipeline von Katar durch Syrien in die Türkei, was Assad verhindern will, um aus politischer Verbundenheit mit Russland, das russische Gas-Monopol in Europa nicht zu gefährden. Sind erneuerbare Energien eine Lösung solcher Konflikte, wie Sie sagen – oder ist das nicht etwas zu kurz gegriffen?

DG: Nein, genauso meine ich das: Wir brauchen mehr Sonnenenergie statt Erdölkriege. Es geht aber nicht nur um dezentrale und erneuerbare Energie, sondern auch um einen allgemeinen Bewusstseinswandel, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Das kommt einem heute natürlich utopisch vor. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bis 1971 hatten die Frauen in der Schweiz kein Wahlrecht und niemand konnte sich vorstellen, dass es je anders sein würde. Heute kann sich meine Tochter nicht mehr vorstellen, dass es jemals so war.

Vielen Dank Herr Dr. Ganser.

Mehr Infos:
www.siper.ch - www.die-mutmacher.de

Interview: Carsten Krystofiak

/Dr. Daniele Ganser (re.) am 20. März vor seinem Vortrag im F1 mit Michael Teich unter dem Motto der UB. Michael und die na dann... würden den Historiker und Friedensforscher sehr gerne für einen weiteren Vortrag zum Thema „Frieden schaffen mit erneuerbaren Energien“ vor ein noch größeres Publikum nach Münster einladen. Bürgerinnen und Bürger würden vom Auftritt des engagierten Schweizers im H/1/begeistert sein. (Foto: www.ingo-woesner-photographie.de)

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