Von , 08.04.2020

Wie erleben Münsters Kulturschaffende...

Wie erleben Münsters Kulturschaffende, Künstler*innen und Klein-Gastronom*innen den Shutdown des öffentlichen Lebens? Stehen sie vor dem Nichts oder haben sie einen Plan B? Wie gehen sie persönlich mit der Krise um? Wir fragen nach …

… … beim Leiter der KAPITO-Sprachschule, Hansgerd Schomacher

Sind alle KAPITO-Schüler in ihre Heimatländer zurückgereist?

Nein, noch Mitte März waren ca. 120 ausländische Teilnehmer unserer Deutsch-Intensivkurse in Münster bei ihren priva­ten Gastfamilien. Einige von ihnen haben ihren Kurs abgebrochen und das Land verlassen, aber die meisten sind jetzt noch in Münster.

Und was machen die jetzt?

Sie setzen ihren Sprachkurs online fort. Onlinekurse sind schon lange ein Thema für Sprachschulen wie unsere. Der Hintergrund ist, dass Studenten aus Übersee öfters Schwierigkeiten mit dem Visum haben und in ihren Heimatländern schon Grundkenntnisse nachweisen müssen. Deshalb wird eine Online Vor- oder Nachbereitung des Präsenzunterrichts immer interessanter. Im letzten Jahr haben wir einen Softwareanbieter gefunden, um bei uns eine Lösung zu realisieren. Es ist dabei sehr wichtig, gute „Livebilder“ bieten zu können.

Und das hat auf Anhieb geklappt?

Yogakurse Gesprächskreise, Quiz- und Kochabende per Internet: »Nur das Erleb­nis Münster, das kann man nicht digital simulieren!«

Durch die rechtzeitige Vorbereitung konnten wir von jetzt auf gleich starten. Am 16. März sind alle Schüler nochmal in unsere Schule am Servatiiplatz gekommen, dort haben wir alles besprochen – und am Dienstag um 10 Uhr sind zwölf Klassen online gegangen! Und bis auf kleine Anlaufschwierigkeiten hat alles super funktioniert! Die Dozenten haben das großartig umgesetzt, denn es ist ja eine Umstellung auf eine ganz andere Form von Kommunikation.


Ja, aber das ist eben auch menschlich – wann räumt man schon seinen Keller auf, obwohl man es sich schon lange vorgenommen hat? Hautsache ist für uns, die Kurse können weitergehen. Die Dozenten können Texte, Audio und Filme einspielen, Teilnehmer in virtuelle Gruppenräume schicken, Hausaufgaben betreuen, etc. Wir haben auch unser kulturelles Begleitprogramm auf online umgestellt: Wir machen jetzt Yogakurse, lustige Gesprächskreise, Quiz- und Kochabende per Internet. Nur das Erleb­nis Münster, das kann man nicht digital simu­lieren! Darum hoffen wir, bald zum Präsenzunterricht zurückkehren zu können, denn die direkte Kommunikation und soziale Inter­aktion zwischen Lehrer und Schülern hat doch letztlich eine andere Qualität …

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Wir fragen nach… … beim Sprecher des Wolfgang-Borchert-Theaters, Frederik Iven

Schlechte Zeiten für Schauspieler, Regisseure, Dramaturgen, Beleuchter, Tontechniker, Thekenkräfte, Kassenpersonal, Programmheft-Grafiker …

Das ist richtig – und währenddessen laufen viele Kosten weiter. Wir hätten seit dem 14. März 31 Vorstellungen und drei Auswärts-Gastspiele gehabt. Das sind etwa 100.000 Euro entgangene Ticket­umsätze. Das betrifft aber nicht nur uns, sondern alle Privattheater in Deutschland.

Können Sie die Termine nicht in den Herbst verschieben?

»Infos zur Spendenaktion findet man auf www.wolfgang- borchert-theater.de«

Nein, wir können keine Termine nachholen, weil wir ja einen langfristig festen Spielplan haben. Und gerade jetzt ist eigentlich eine spielstarke Zeit mit hoher Auslastung. Wir müssen jetzt eigentlich die Sommerdelle kompensieren. Interessanterweise gingen die Zahlen aber bereits im Februar herunter, wohl wegen allgemeiner Verunsicherung durch die mediale Berichterstattung.


Es gibt aber auch Positives …

Erstens haben viele Besucher netterweise ihre bereits gekauften Karten nicht umgetauscht. Zweitens hat unser Förderverein schon fast 20.000 Euro gesammelt und viele neue Mitglieder aufgenommen. Und drittens haben wir eine Spendenaktion gestartet. Die Infos dazu findet man auf www.wolfgang-borchert-theater.de. Spenden bis 200 Euro sind ohne Beleg absetzbar, für Spenden über 200 Euro stellen wir eine Spendenquittung aus.

Und was machen die jetzt?

Das ist einerseits eine technische und fin­an­zielle Frage. „Bundesliga-Theater“ können das leisten, wir nicht. Es ist andererseits aber auch eine ästhetische Frage. Gefilm­tes Theater ist nicht mehr „live“, die Augen­blickswirkung geht verloren. Und ob unser Publikum affin dafür wäre …? Wir sind ja schließlich keine Rockband. Allerdings finden die Proben jetzt per Videokonferenz statt.

Wofür proben Sie denn jetzt?

Wir haben am 23. April die Premiere von „Momentum“ geplant. Ob sie stattfindet, steht in den Sternen. Aber unser Intendant Meinhard Zanger sagt: Kopf aus dem Sand und weitermachen!

In diesem Sinne!

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Wir fragen nach… … … bei der Frisörmeisterin Rosemarie Ehrlich

Ihr Frisörgeschäft an der Hammer Straße gibt es seit 30 Jahren …

So lange ist alles gutgegangen, auch in wirtschaftlich schweren Zeiten – und jetzt das, drei Monate vor dem 30. Jubiläum! Ich hab’ erstmal geheult – aber so ist das als Selbstständige …

Dürfen Sie keine Hausbesuche machen?

Nein, Hausbesuche sind ausdrücklich verboten. Ich habe schon zwei Tage vor dem behördlichen Kontaktverbot den Betrieb eingestellt, weil mir das Risiko zu groß war. Wir haben ja engen Kontakt mit den Kunden, ich kann schließlich schlecht auf Distanz die Haare schneiden.

Wie kompensieren Sie den Umsatzausfall?

»Ich weiß auch nicht, ob das alle Vertreter unserer Branche überstehen können. Ich zähle auf meine Stamm-kundschaft und hoffe, dass sie zurückkehrt

Bei der Ladenmiete ist mir mein Vermieter freundlicherweise gleich entgegengekommen. Aber Energiekosten, Sozialversicherungsabgaben und betriebliche Versicherungen muss ich natürlich weiter bedienen. Darum habe ich die Soforthilfe beantragt. Ich muss sagen, das funktionierte in Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu manchen anderen Bundesländern sehr unkompliziert – dann ging wegen der vielen Nachfragen allerdings der Server in die Knie …


Hilft Ihnen das Geld durch die Krise?

Kurzfristig schon, aber die Verbindlichkeiten sind ja nur gestundet, nicht geschenkt. Später muss ich sie auf jeden Fall bezahlen. Und die Unterstützung muss ich als betriebliche Einnahme versteuern. Ich weiß nicht, ob das überhaupt allen klar ist. Ich weiß auch nicht, ob das alle Vertreter unserer Branche überstehen können. Ich zähle auf meine Stammkundschaft und hoffe, dass sie zurückkehrt. Aber es geht nicht nur um materielle Schäden und Verluste. Die abstrakte Bedrohung durch eine Krankheit hat etwas sehr Beängstigendes, die schrecklichen Bilder aus Italien werden auch noch lange nachwirken. Die Unbeschwertheit und das grundsätzliche Sicherheitsgefühl sind einfach weg.

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… bei Jörg Lamskemper von Herlitzius, Sprecher der Kaufleute im Kiepenkerlvierteln

Wie verkraftet Münster Einzelhandel diese Krise?

Es betrifft nicht nur unser Geschäft, unser Kiepenkerlviertel und unsere Münsteraner Innenstadt – es betrifft den stationären Einzelhandel überall. Und dazu sage ich ganz deutlich: Wenn jetzt große Unternehmen wie H&M ankündigen, die Mietzahlungen für ihre Stores einzustellen, ist das Anarchie. Da sollten die Verbraucher reagieren und das nicht hinnehmen. Dasselbe bei gewissen Kaufhäusern: Die bombardieren uns wöchentlich mit Hochglanzprospekten mit absurden Dumping-Preisangeboten, die den kleinen Einzelhandel ruinieren und bezahlen ihren Mitarbeitern auch noch Niedriglöhne – und die sind jetzt die ersten, die die Hand aufhalten und nach staatlicher Unterstützung rufen?! Ausgerechnet die, die den gesunden Handelsmarkt mit ihrer Preispolitik kaputtmachen und die Hersteller ihrer Waren unter Druck setzen und deren Marken im Rabattkampf verheizen? Darüber sollten sich die Kunden mal Gedanken machen. Wir bringen jetzt alle Opfer und lassen Federn. Aber der Unterschied ist: Wir kleinen Einzelhändler verbrennen unser Geld, die großen Ketten und Konzerne verbrennen fremdes Geld! Die Künstler und Kulturschaffenden, denen es jetzt schlecht geht, müssten sich auch mal fragen, wer denn das kommunale Gemeinwohl und die Kultur mit Steuern finanziert – bestimmt nicht Amazon! Der stationäre Einzelhandel, die inhaber- und familiengeführten Geschäfte, die sorgen für eine lebendige Innenstadt. Wenn das Onlineshopping bei Amazon und Zalando die Innenstadt finanziell austrocknet, ist auch nichts mehr mit freier Kunstszene. Jeder, der irgendwo arbeitet, wo etwas hergestellt wird, weiß, dass Leistungen und Waren einen Wert haben müssen, von denen alle Beteiligten leben können. Leute, denkt mal darüber nach.

Wow, was für ein Statement!

»… die inhaber- und familien- geführten Geschäfte, die sorgen für eine lebendige Innenstadt. Wenn das Onlineshopping bei Amazon und Zalando die Innenstadt finanziell austrocknet, ist auch nichts mehr mit freier Kunstszene.«

Was wir brauchen ist solidarische Verantwortung statt „Rette sich, wer kann“ und Anarchie. Und deshalb möchte ich den vielen Stammkunden danken, die jetzt bei uns telefonisch oder per Mail bestellen oder uns mit netten Worten aufmuntern – Danke!


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Wir fragen nach… … … … bei Pinkus-Braumeisterin Barbara Müller

Münsters Marke Pinkus ist doppelt betroffen, als Brauerei und Gastronomie…

Im Lokal räumen wir momentan auf und renovieren ein bisschen. Die Lebensmittel aus der Küche habe ich auf die Mitarbeiter aufgeteilt. Im Keller habe ich noch einen Zentner Kartoffeln, daraus backe ich für das Mitarbeiterteam Kartoffelbrot.

Das ist lieb, aber davon können die keine Mieten zahlen …

Unsere Rücklagen waren natürlich eigentlich für ganz andere Investitionen verplant. Ich wollte auch Soforthilfen beantragen, aber dann habe ich mir gedacht: Nee, das brauchen jetzt als Erste mal die vielen Künstler und Kleinstunternehmer, die komplett ohne Einkommen dastehen. Da müssen wir jetzt mal alle solidarisch sein. Was sollen meine Mitarbeiter außerdem mit Kurzarbeitergeld, denn die 60 % des Lohns beinhalten keine Nachtzuschläge und Trinkgelder, die einen Teil ihres Verdienstes ausmachen. Wenn der Stillstand bis über den Sommer dauert, haben wir sowieso alle bis dahin auf Pflegekraft umgeschult …

Und in der Brauerei?

Bier ist ja zum Glück ein länger haltbares Lebensmittel. Die Leute sollten lieber Bier als Klopapier hamstern. Unser Umsatz ist um etwa ein Viertel zurückgegangen, denn die Gastronomie fehlt als Abnehmer. Ich vermute auch, dass die Leute, die jetzt alle ängstlich auf Abstand bedacht sind, nicht gleich wieder in den Kneipen eng zusammenrücken, wenn wir wieder öffnen dürfen.

Erleben Sie selbst auch Solidarität?

Wir bekommen viel Zuspruch von Stammgästen, das ist natürlich ein sehr schönes Gefühl. Aber was sich beim Einkaufen teilweise für aggressive Szenen abspielen, ist schon manchmal beängstigend.

Ist das Kuhviertel jetzt eine Geisterstadt?

»Bier ist ja zum Glück ein länger haltbares Lebensmittel. Die Leute sollten lieber Bier als Klopapier hamstern.«

Die Kreuzstraße und das gesamte Kuhviertel sind wie ausgestorben. Die Anwohner, die sich sonst oft über Lärm beschweren, können jetzt himmlische Ruhe genießen. Obwohl – meine Tochter kann deshalb abends nicht einschlafen, wie sie von klein auf den gleichmäßigen Geräuschpegel der Ausgehmeile gewohnt ist. Jetzt ist es plötzlich totenstill um den Rosenplatz.


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… beim Gastronomen Pitti Duyster

Wie geht’s dem Dockland/Beach/Heaven-Team?

Alles super (lacht ironisch). Wir sind, wie so viele andere, als Betrieb eigentlich tot. Wir haben null Einnahmen, dafür aber laufende Kosten, müssen noch Löhne zahlen, etc. Mit unserem Polster bekommen wir den Apparat höchstens über einen Monat. Nun gibt es aber viele Dinge, die uns helfen. Zum Beispiel, dass Vermieter, Gema und Finanzamt mitspielen und momentan ruhig bleiben. Darum sind wir trotz allem positiv gestimmt. Allerdings sind die Forderungen nur gestundet, nicht erlassen.

Musstet Ihr viel Personal entlassen?

Gerade für unsere rund 120 studentischen Aushilfen und Minijobber ist das tragisch. Aber die weiter zu beschäftigen, übersteigt unsere Mittel. Dafür sind die KfW-Kredite auch nicht vorgesehen. Die meisten Betroffenen hatten dafür allerdings Verständnis, manche können auch auf ihre Eltern zurückgreifen. Du musst aber auch die psychologische Seite sehen: Diese Krise kann sehr destruktiv und destabilisierend auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt wirken. Allzu lange kann das nicht so weitergehen, ohne dass sich die Leute zuhause oder im Supermarkt die Köppe einschlagen. Man kann auch nicht erwarten, dass der Staat noch wesentlich länger Geld ausschüttet.

Was macht Ihr in der Zwischenzeit?

Wir nutzen die Zeit für Sanierungsarbeiten, denn wenn wir wieder eröffnen, wollen wir das mit einem Bang! machen und eine qualitative Steigerung präsentieren. Wir bieten auch Gutscheine mit tollen Angeboten für die Zeit danach an.

Wie ist Deine Prognose für die Zeit nach dem 20. April?

»Wir nutzen die Zeit für Sanierungsarbeiten, denn wenn wir wieder eröffnen, wollen wir das mit einem Bang! machen.

Wir fangen als Gesellschaft bestimmt nicht wieder einfach an dem Punkt an, wo wir aufgehört haben. Es wird ein großes euphorisches Wiedersehen in den Clubs geben, bei dem sich alle in den Armen liegen – aber dann werden die Kündigungen und Pleiten noch lange weitergehen, weil sich die Bilanzen nicht so schnell erholen können.


Hält Euer Stammpublikum zu Euch?

Die Leute haben uns offenbar nicht vergessen: Bei unseren Live-Streamingpartys vom Fusion und Heaven auf Facebook haben zwischen 7.000 und 12.000 Leute reingeklickt. Die sehen ihren Lieblingsclub, genießen den Sound und lassen einen lieben Kommentar da – das ist das Schönste!

Interviews: Carsten Krystofiak

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