Von , 01.04.2020
Wie erleben Münsters Kulturschaffende,
Wie erleben Münsters Kulturschaffende, Künstler*innen und Klein-Gastronom*innen den Shutdown des öffentlichen Lebens? Stehen sie vor dem Nichts oder haben sie einen Plan B? Wie gehen sie persönlich mit der Krise um? Wir fragen nach …
… bei Studio Yogaflow-Inhaberin Anke Stadler
Ihr Unternehmen basiert darauf, dass Leute Ihr Yoga-Studio oder die externen Angebote besuchen. Beides fällt momentan aus. Der Krise zum Trotz haben Sie kurzerhand gesagt: Dann muss Yoga eben zu den Leuten kommen – und zwar online! Wie realisieren Sie das?
Wir machen das Yogastudio virtuell: Die Yogalehrerin oder der Yogalehrer führt die Übungen wie normal im Trainingsraum vor der Kamera aus. Die Kunden laden sich eine Software herunter, um den virtuellen Trainingsraum „betreten“ zu können. Die Kosten für das Programm übernehmen wir. Dann melden sich die Kunden mit ihren persönlichen Zugangsdaten gegen Gebühr an und können an dem Kurs teilnehmen. Jetzt in der Probephase ist aber auch das noch kostenfrei. Das System erlaubt Interaktion: Sie können mit dem Lehrer oder der Lehrerin sowie untereinander sprechen. Wer das nicht mag, kann sein Bild und seinen Ton aber auch ausschalten und sozusagen „unsichtbar und stumm“ mitmachen. Als Hilfsmittel kommen dann eben Gegenstände aus dem Haushalt zum Einsatz wie Gürtel, Kissen, Decken oder Bücher.
Hat sich das virtuelle Studio schon bewährt?
Wir haben gerade die ersten Online-Kurse durchgeführt. Dazu mussten wir sehr kurzfristig eine technische Lösung aus dem Boden stampfen. Aber die Resonanz war erstaunlich: Der Kurs für Schwangere war beinahe genauso gut besucht, wie „live“.
Wie war die Resonanz?
Überraschend positiv: Viele haben geschrieben, dass sie trotz der Distanz eine persönliche Nähe erlebt haben und waren ganz begeistert. Die Leute sind ausgeglichen, weil sie trotz der Isolation verbunden mit anderen yoga machen können.
Hatten die Teilnehmer keine technischen Schwellenängste?
Nein, unsere Schritt-für-Schritt-Anleitung auf unserer Homepage ist sehr gut erklärt. Außerdem bieten wir bevor der Kurs startet, einen telefonischen Support, falls jemand Probleme bei der Einrichtung hat.
Werden Sie das System auch nach Ende der Kontaktsperre beibehalten?
Auf jeden Fall! Wir mussten jetzt alles aus dem Stand improvisieren, aber nun wollen wir es richtig professionalisieren. Für die Teilnehmer bietet es viele Vorteile, zum Beispiel, dass die Anfahrt zu uns wegfällt. Das ermöglicht auch Leuten die Teilnahme, die sehr weit weg wohnen oder wegen Kleinkindern nicht immer weggehen können. Außerdem können wir auf diesem Weg Kurse von Yogalehrern aus aller Welt anbieten. Wir sind schon im Gespräch mit einem sehr beliebten Lehrer, der in Sydney lebt und schon zugesagt hat.
Ein schönes Beispiel dafür, wie man in der Krise plötzlich Dinge umsetzt, zu denen man sonst im Alltagsgeschäft nie kommt.
Genau. Die Digitalisierung bringt für uns auch den Vorteil, dass der Verwaltungs- aufwand durch Papierkram erheblich schrumpft, was ja auch die Umwelt schont. Und wir können uns stärker auf das Wesentliche konzentrieren können – nämlich Yoga!
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Wir fragen nach… bei den Zucchini Sistaz
Ist bei den Zucchinis alles im grünen Bereich?
Jammern entspricht nicht dem Zucchini-Spirit. Wir nutzen die unfreiwillig freie Zeit, um mal wieder kreativ zu arbeiten, wozu das Tagesgeschäft viel zu selten Luft lässt. Jetzt kann man mal die Wohnung streichen oder endlich die Videos schneiden, die schon ewig auf dem Rechner liegen. Ungewohnt ist allerdings der Kreativprozess als einsame Stillarbeit, statt bei gemeinsamen Proben.
Trotzdem spürt ihr auch Auswirkungen.
Die Folgen sind sehr langfristig und weitreichend. Da alle Musiker und Veranstalter ihre Termine in den Herbst verschieben, sagen jetzt bereits größere Bühnen die eigentlich schon fest vereinbarten Auftritte für 2021 ab, weil sie die Termine für die Nachholshows der jetzt ausgefallenen Konzerte brauchen. Dadurch werden auch Terminkalenderlücken in 2022 schon knapp. Leider ist davon auch unser Operettenprojekt betroffen.
Operettenprojekt??
Wir haben auf einer privaten Feier zufällig die Geschwister Pfister kennengelernt. In Feierlaune entstand die Idee einer minimalistisch-witzig-schrägen Version von „Die Fledermaus“, der Königin der Operetten. Das Projekt wurde tatsächlich konkret und wir sind als „kleinste Bigband der Welt“ Orchester, Ballett und Chor gleichzeitig. Die Premiere sollte jetzt im Mai Kooperation mit dem Opernhaus Zürich am Bernhard Theater stattfinden. Nun ist der frühestmögliche Termin im Dezember 2021 ...
Sind Streamingkonzerte für die Zucchini-Sistaz eine Alternative?
Hm, vielleicht. Aber eigentlich brauchen wir die Live-Interaktion mit dem Publikum. Was wir jedoch echt sagen müssen: Die sozialen Medien erweisen sich momentan wirklich als das, wie sie heißen, nämlich sozial! Die Solidarisierung und gegenseitige Hilfe in den Netzwerken ist toll! Au-ßerdem scheint es, als hätte die Digitalisierung in Deutschland durch Home-Office, Homeschooling etc. einen deutlichen Schub bekommen, oder?
Wie erlebt Ihr Solidarisierung im Alltag?
Tina war kürzlich in der Apotheke, da war viel los und die Stimmung sehr angespannt bis unfreundlich. Die Apothekerin hat sich trotz allem so freundlich um sie gekümmert, dass sie tags drauf nochmal mit ihrer Ukulele hingegangen ist und der Apothekerin ein spontanes Dankeschön-Ständchen gebracht hat. Das war natürlich ein emotional sehr bewegender Moment.
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Wir fragen nach… beim Leiter des Picassomuseums, Markus Müller
Das Picassomuseum wird weder staatlich, noch mit Landesmitteln oder kommunal gefördert. Das bedeutet, dass Ihnen die Eintrittsgelder fehlen …
Ja, bei über viertausend monatlichen Besuchern, die pro Person acht Euro bezahlen und vielleicht noch ein Souvenir im Museumsshop kaufen, kann man sich ausrechnen, was da verloren geht. Um diese Delle abzufedern, müssen wir unsere Planung anpassen. Für die 16 Mitarbeiter, die als Aufsicht, im Shop und an der Kasse arbeiten, haben wir zum Glück Lösungen gefunden.
Moment mal, wird das Picassomusuem in diesem Jahr nicht 20?
Das ist das Ärgerlichste daran! Wir hatten grandiose Pläne und wollten ein Feuerwerk an Aktionen bieten – jetzt ist das Jubiläumsjahr völlig versalzen! Naja, das holen wir zum 25jährigen Geburtstag dann alles nach – Vorfreude ist ja bekanntlich am schönsten …
Gibt es einen terminlichen Domino-Effekt?
Natürlich, wir haben eine Fotoausstellung ins nächste Frühjahr verschoben, was natürlich die weitere Planung betrifft: Alle Termine müssen aufrücken. Das Problem wird dadurch verschärft, dass wir Parallelausstellungen mit Kooperationspartnern in den Niederlanden haben. Lassen wir die aufgebaut, bauen wir sie ab, kann man jetzt den Transport überhaupt durchführen? Diese Fragen können wir nur in Abstimmung mit dem Rijksmuseum Enschede klären.
Gefährdet die Schließung die Bindung des Publikums an das Museum?
Das glaube ich nicht, denn wir reden ja hoffentlich über Monate und nicht Jahre. Ich hoffe, dass die Menschen nach dem Shutdown einen großen Hunger auf Kultur haben, weil sie in der Isolation vermissen, was das Leben lebenswert macht. Ich rechne aber damit, dass die Rückkehr zur Normalität stufenweise erfolgt. Wenigstens ist das Wetter schön, nicht auszudenken, wenn es jetzt draußen noch zusätzlich grau und deprimierend wäre.
Sind Online-Ausstellungen eine Alternative?
Um das fußballerisch zu beantworten: Entscheidend is’ auf’m Platz! Das heißt, der physische Besucher, der eine reale Ausstellung betritt – das ist das echte Erlebnis. Virtuell ist es nur ein Surrogat, weil die gemeinsame Verständigung fehlt.
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Wir fragen nach… beim Bioweinhändler Dietmar Wiesner (Reblaus)
Bunkern die Leute Wein?
Teilweise ja. Aber die Verabredung mit Freunden zum Essen mit Wein wird jetzt nicht verschoben, sondern fällt einfach aus – dieser Verbrauch findet nicht statt. Wenn die Sache vorbei ist, wird es durch Hamsterkäufe erstmal einen Überhang geben, denn die Vorräte müssen dann weg. Die Flaute wird mich also zeitverzögert treffen.
Wieso ist Dein Laden überhaupt noch geöffnet?
Ich gelte als systemrelevanter Getränkefachmarkt. Schließlich muss die Versorgung der Bevölkerung mit Getränken ja gewährleistet bleiben.
Richtig und mit Wein besonders, denn sonst wäre es ja nicht auszuhalten.
Ich arbeite allerdings auf eigene Gefahr. Wenn mir das Infektionsrisiko im Laden zu hoch wird, werde ich schließen. Manche Kunden muss ich tatsächlich ermahnen, einen angemessenen Abstand einzuhalten.
Inwieweit sind denn Winzer und Weinhändler betroffen?
Es ist eine große Schippe Sand ins Getriebe gekommen. Europas größte Weinmesse mit über sechstausend Ausstellern und 60.000 Besuchern ist kürzlich ersatzlos ausgefallen, weil sie nicht auf den Herbst verschieben werden kann, denn da müssen die Winzer im Weinberg arbeiten. Es ist wie bei diesem Tischspiel mit den Metallkugeln: Wenn ich vorne eine Kugel kla-cken lasse, schlägt die hintere Kugel aus. Das heißt: Ich bin hier als Direktverkäufer der Frontman. Wenn ich nichts mehr verkaufe, verkauft der Großhändler auch nichts und wenn der nichts verkauft, bleibt der Winzer auf seinem Erzeugnis sitzen. Dasselbe gilt für die Großhändler, die den Großteil ihres Umsatzes mit der Gastronomie machen, denn die fällt als Abnehmer ebenfalls aus.
Die Genussbranche hat also keinen Absatz mehr.
Nun, es hilft ja nicht, zu erzählen, wie schlecht es allen geht. Das ist eben das viel zitierte unternehmerische Risiko. Wenn ich keine Rücklagen oder Vorsorge wie eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung habe, ziehe ich die Karo Sieben. Wenn ich infiziert im Bett liege, will mein Vermieter trotzdem Ladenmiete haben. Solche Ereignisse treffen Selbstständige mit voller Wucht. Die Frage ist, wie lange sich das hinzieht. Wenn wir dieses Gespräch in einem halben Jahr immer noch so führen, dann ist die Wurst aber wirklich heiß!
Werden im Herbst viele Trauben am Rebstock verfaulen?
Sicher nicht. Wein ist ja zum Glück nicht so verderblich wie Joghurt. Er wird nicht schlecht, sondern reifer. Viele Weine werden sowieso viel zu früh getrunken …
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Wir fragen nach… beim Chef der Agentur „DJ-Bande“, Michael Knüfer
Wie geht es jetzt einer DJ-Agentur?
Wir haben gerade mit 14 DJs in einer Onlinekonferenz Party-Dramaturgien entwickelt, Playlisten verglichen, die Kommunikation mit den Gästen trainiert und „Secret Burner“ ausgetauscht, also Lieder, die nie gewünscht werden, aber eine volle Tanzfläche garantieren. Dieses Qualitätsbewusstsein und ständige Qualifizierung ist ja unser Markenzeichen. Im Moment ist das jedoch Arbeit für eine ungewisse Zukunft, aber wir haben Hoffnung.
Wovon leben die DJs nun?
Die meisten sind Hobby-DJs aus Passion mit einem „Brotjob“. Für die etwa 25 Prozent, die das hauptberuflich machen und keine andere Einkommensquelle haben, wird es ganz, ganz eng. Das sind Leute, die sich wie Kleinkünstler und Musiker, finanziell nicht lange strecken können. Da hilft auch kein Crowdfunding, denn die Zahl der Kampagnen ist längst zu groß – wen soll ich da zuerst retten? Die Frage ist, wie solidarisch die Kunden jetzt mitziehen. Es gibt zum Beispiel für die Kunden, die Ihre Feiern aufgrund der behördlichen Verordnung absagen mussten, die Möglichkeit, die sonst übliche Stornogebühr für den gebuchten DJ nicht zurückzufordern. Viele Leute überlegen sich tatsächlich: Was habe ich davon, wenn ich die Party mit dem DJ nicht in einem halben Jahr nachholen kann, weil der dann schon Hartz IV-Empfänger ist …
Rechnest Du mit einer schnell Re-Normalisierung?
Ich vermute, der Kultursektor wird langsam wieder angefahren, nicht ad hoc. Vielleicht mit regionalen Einschränkungen oder zuerst nur für private Feiern mit Eigenverantwortlichkeit der Gäste. Ich denke auch, die bis 25jährigen werden ganz schnell wieder in den Partymodus fallen, während die Generation 40 plus, für die wir bei unseren öffentlichen Partys hauptsächlich auflegen, über mehr Vernunft und Problembewusstsein verfügt und entsprechend sich zunächst eher vorsichtig wieder auf eine Tanzfläche wagt.
Was heißt das für Euer Agenturgeschäft?
Für uns als Unternehmen sieht es so aus, dass wir von der Zahl der Buchungen unser bisher bestes Geschäftsjahr erreicht hätten – und dann: Puff! Jetzt sind Gespräche mit Steuerberater und Bank angesagt, aber Banken sind keine Wohlfahrtsinstitute, sondern profitorientiert. Ich meine, es ist Aufgabe des Staates, die Arbeit der Kulturträger, die Lebensqualität spenden, angemessen zu honorieren. Aber schau die Pflegekräfte an: Die Leute applaudieren jetzt und die Politik fordert für die Zukunft für diese Berufe bessere Bezahlung, aber unterbezahlt werden sie trotzdem weiter. Ich für meinen Teil bin optimistisch: Ich bin noch nicht zu alt, um mich nicht gegebenenfalls neu aufzustellen.
Interviews: Carsten Krystofiak
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Jede Spende hilft
Das Wolfgang Borchert Theater hat Spendenaufruf gestartet
Angesichts der gegenwärtigen Corona-Krise stehen viele Kulturschaffende und Kulturinstitutionen vor der Aufgabe, ihre Betriebe und damit häufig die existenzielle Grundlage zu reIen und zu sichern. Das Wolfgang Borchert Theater ist als PrivaIheater in der Situation, dass es, im Gegensatz zu städtischen oder staatlichen Theatern, 55 % seines Etats selbst erwirtschaften muss.
Durch die Anordnung der Einstellung des Spielbetriebs bis voraussichtlich zum 19. April ist zum jetzigen Zeitpunkt dadurch wirtschaftlicher Schaden im sechsstelligen Bereich entstanden. Das WBT ruft deshalb seine Zuschauer und Theaterbegeistere zu einer Spendenaktion auf, um das Theater in dieser Situation zu unterstützen.
Weiterhin wird an alle Kartenkäufer appelliert, auf die Rückerstattung des Ticketpreises zu verzichten, um dem Theater auch finanziell zur Seite zu stehen. Seit dem Wochenende sind bereits rund 3.500 € an Spenden eingegangen, zum großen Teil durch Verzicht auf die Rückerstattung von gekauften Tickets. Auch wurden bereits acht Aufnahmeanträge für die Mitgliedschaft im Förderverein gestellt.
Intendant Meinhard Zanger: „Ich bin begeistert über diese Bereitschaft, uns in dieser besonders schwierigen Zeit zu unterstützen und danke allen Spendern und neuen Förderern. Wir haben für unsere Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt und hoffen, dass wir da bald wieder rauskommen.“
Zanger hofft auf weitere Spenden und neue Mitglieder im Förderverein und ruft auch die Politik auf, das Wolfgang Borchert Theater „nicht im Regen stehen zu lassen“.
Spenden jeglicher Höhe können weiterhin an das folgende Konto gerichtet werden:
Verein zur Förderung des Wolfgang Borchert Theaters e. V.
IBAN DE91 4005 0150 0000 0025 92
BIC WELADED1MST
Verwendungszweck: Sein oder Nichtsein