Von Carsten Krystofiak, 28.09.2016

In dieser Woche vor 48 Jahren... klagten die Blinden in Münster.

In dieser Woche vor 48 Jahren... klagten die Blinden in Münster.

Es war eins der kuriosesten Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte: Das Blindenprivileg. Um die vielen Kriegsblinden am Wirtschaftswunder teilhaben zu lassen und ihnen den Aufbau einer selbständigen Existenz zu ermöglichen (und damit die Fürsorgekassen zu entlasten), befreite der Gesetzgeber Kriegsblinde von der Mehrwertsteuerpflicht.

Ich kann keine Tankstellen mehr sehen! Münsters Finanzgericht verteidigte das Blindenprivileg.

Eine der blinden Nutznießer eröffnete eine eigene Tankstelle. Da er den Sprit ohne Steuer günstiger anbieten konnte als die Konkurrenz, machte er ein Riesengeschäft.
Das brachte clevere Mineralölhändler auf eine Idee: Sie rekrutierten Blinde, die sie als scheinselbständige Strohmänner an ihren Tankstellen einstellten - und kassierten Vermögen am Staat vorbei. Die Autofahrer waren happy; dem Fiskus entgingen Millionen.


Das Phänomen hatte einen Sogeffekt: Um im Preiskampf zu überleben, schlossen sich immer mehr freie Tankstellen den Blinden als Filialpartner an. Ein Blinder aus Dortmund hatte bald ein Netz von über 100 Tankstellen. Langsam wurden die großen Konzerne Aral und Shell nervös. Sie verlangten ein Eingreifen der Politik.

Tatsächlich forderte das Bundesfinanzministerium die entgangenen Steuern von den Blinden zurück. Doch Münsters Finanzgericht erklärte dies in einem Paukenschlag-Urteil für rechtswidrig! Aber die blinden Unternehmer jubelten zu früh: Die nächste Instanz kassierte das Blindenprivileg endgültig.

Ich kann keine Tankstellen mehr sehen! Münsters Finanzgericht verteidigte das Blindenprivileg.

Münsters Zeitzeichen-Serie aus der na dann...
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