Page 30 - pixelbook KW 16/2021
P. 30

 30
Panta rhei („alles fließt“)
Die „gute alte CDU“ verkörperte die „alte“ Bun- desrepublik als Sammelbecken konservativer Bürgerinnen und Bürger genauso wie die „gute alte SPD“ als Klientenpartei die abhängig Beschäftigten. Arno Tilsner hat den Wechsel der politischen Ausrichtung der bundesdeut- schen Politik durch die wechselnden Kanzler dargestellt. Darin zeigt sich die Stärke und die Schwäche der demokratischen Verfassung der zweiten deutschen Republik. Ihre Stärke in der Fähigkeit, durch die Wählermehrheiten Korrek- turen des Weges zu bewirken, ihre Schwäche, dass durch den Rhythmus der Wahlperioden Begonnenes nicht verlässlich fortgesetzt wer- den kann.
Wenn wir uns die ersten Jahre nach 1949 an- sehen, müssen wir uns mit dem Wahlvolk be- schäftigen und mit den frühen politischen Re- präsentanten seiner Interessen. Wer waren die ersten Wählerinnen und Wähler? Die über 50-Jährigen hatten ihre Wertvorstellungen und ihre eigene gesellschaftliche Position als He- ranwachsende aus dem Kaiserreich mitgenom- men, ihr Weltbild am verworrenen Lauf der er- sten deutschen Republik korrigiert und waren von der vollen Wucht ihrer Begeisterung im Dritten Reich in die bodenlose Tiefe der Nieder- lage gestürzt.
Die Jüngeren waren in die „Großdeutsche Zeit“ hineingewachsen, waren der Verführung zu großen Taten und politischer Einigkeit „und morgen die ganze Welt“ gefolgt, hatten den Irrsinn des Zweiten Weltkrieges aktiv miterlebt und miterlitten und ihre traumatischen Erleb- nisse übertrugen sich auf ihre politische Hal- tung. „Nie wieder Krieg“ stand über allen per- sönlichen Vorstellungen vom Zusammenleben beider Gruppen. So suchten sie Orientierung und Zukunftswege in der Rückbesinnung auf selbst erlebte friedliche Zeiten und so waren die Parteien ein getreues Abbild des „es war
na dann... 16/2021
einmal“ und das politische Personal verkörper- te diese Erwartung.
Neben Konrad Adenauers CDU, deren große Leistung es ist, damals die bürgerlichen und konservativen Parteien der Weimarer Republik zusammengeführt zu haben, entstanden die alten Arbeiterparteien SPD (Kurt Schumacher) und KPD (Max Reimann) neu, fingen DP und FDP die rechten Wähler, der BHE die Flüchtlinge und Ausgebombten. Der Boom des „Wirtschafts- wunders“ änderte an den Grundprinzipien we- nig, die Verteilung der gesellschaftlichen Auf- gaben sah den konservativen Block mit CDU/ CSU und FDP/DP auf der einen, die SPD und KPD in Gemeinschaft mit den Gewerkschaften auf der anderen Seite. Auf Jahre hinaus band die SPD die meisten Wählerstimmen nach der CDU, die in der Koalition mit der FDP den Kanzler stellte.WeildieFDPdenKoalitionspartnerwech- selte, konnte die SPD mit ihr und später noch einmal mit den Grünen eine Regierung bilden.
Als die Städte wieder aufgebaut waren, die Betriebe mit neuen Maschinen und Produkti- onsmethoden arbeiteten, die 48-Stunden-Wo- che durch 44, 40 Stunden ersetzt war, traten die Veteranen der Politik nach und nach in den Hintergrund. Das Wahlvolk von 1949 alterte, jüngere bestimmten die Besetzung der Parteig- remien. „Unbotmäßigkeit“ statt Disziplin, Suche nach neuen Wegen, ein Gärungsprozess setzte ein, unaufhaltsam, den Wählern hatte sich ein breites Feld der Veränderung, der Erneuerung, aufgetan. Immer noch blieb die Grundausstat- tung dieselbe, rechts, links, Flügel kamen hinzu, Rechtsextreme, Linksextreme. Langsam wurde es dem „braven Bürger“ unheimlich. Das blieb der Kitt der CDU.
Im Hintergrund begann eine neue Macht zu wirken. Die Meinungsbildner Presse und Rund- funk erhielten eine lebhaftere, eindringlichere, Konkurrenz, das Fernsehen. Wie wichtig es der politischen Elite war, zeigte sich im Kampf Hel- mut Kohls für ein Zweites Deutsches Fernsehen.

























































































   28   29   30   31   32