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 na dann... 37/2021
kinokritkiken 5
    Waren einmal
Revoluzzer
(bouda) Die beiden Wie- ner Paare Helene und Ja- kob, Tina und Volker kom- men einem Hilferuf ihres Freundes Pawel in Russ- land nach. Zunächst schi- cken sie nur Geld, dann wol- len sie ihn nach Österrei-
ch holen. Als Pawel mit Frau und Kind ankommt, wan- delt sich die Begeisterung der Paare, konkret helfen zu können, bald zur lästigen Unbequemlichkeit und Pa- nik, das eigene bequeme Le- ben ein wenig ändern zu müssen. Die österreichische Regisseurin Johanna Moder hat mit „Waren einmal Re- voluzzer“ einen Film erschaf- fen, der einem den Spie-
gel vorhält, der nicht ange- nehm ist. In "Waren einmal Revoluzzer" geht es um die Frage, wie selbstlos Hilfe ist und ob es sie überhaupt gibt. Ehrlichkeit spielt da- bei eine ganz zentrale Rol- le. Wenn es ernst wird mit der Solidarität, ziehen sich westliche Wohlstandsmen- schen schnell wieder in ihr weich gepolstertes Schne- ckenhaus zurück. Facetten- reich, berührend, ernsthaft und trotzdem mit Witz.
108´ Cinema
Notes of Berlin
(mex) Große Städte haben es in sich. Millionen Kre- aturen tummeln sich auf den Straßen, Millionen Ge- schichten, Tag für Tag. Ei- nen x-beliebigen davon hat sich Regisseurin Mariejose- phin Schneider nun in Ber- lin ausgesucht und unter- teilt diesen in 14, teils lu- stige, teils traurige, zu- meist aber skurril-schrä- ge Episoden. Wir machen ebenso Bekanntschaft mit gestressten Zweibeinern wie mit lässigen Vierbei- nern, uns begegnet unter anderem das lebendig ge- wordene Karma in vollem Einsatz, das vielleicht über- fällige Ende des „Man wi- th Van“ oder die wohltem- perierte Antwort der woh- nungslosen Ur-Berlinerin auf das internationale Hip- stertum... Hinter jeder Ge- schichte steht eine der ge- sammelten Notizen des Bloggers Joab Nist (www. notesofberlin.com) – eine tolle Idee. In der Summe ergibt das schlicht und er- greifend Berlin wie es leibt und lebt. Und obendrein gute einhundert Minuten feine Kinounterhaltung.
105´ Cinema
Freakscene - The
Story of Dinosaur jr.
(mex) Aus dem Innenleben einer Rockband. Als Joseph Donald Mascis, Lou Bar- low und Emmett Jefferson Murphy III. in den 80er Jah- ren ihre gemeinsame Rei- se als „Dinosaur“ began- nen, waren sie in ihren frü- hen Zwanzigern. Fast vier- zig Jahre später gibt es sie immer noch. Zwischen den Jahrzehnten bescherte ih- nen ein Rechtsstreit das Anhängsel „jr.“, tourten
sie gemeinsam mit „So-
nic Youth“, die ebenso wie Henry Rollins und ande-
re Protagonisten der Sze- ne früh zu ihren Fans ge- hörten, erlebten Streite- reien, Umbesetzungen, Trennung und Reunion... Regisseur Philipp Reichen- heim erzählt in seinem Dokumentarfilm die Ge- schichte dieser Band, die aus heutiger Sicht zu den spannendsten und ein- flussreichsten Formationen des „Alternative-Rock“ zu zählen ist. Sehenswert.
86´ Cinema
Curveball
(sirk) Wenn das Kino schneller ist als die Reali- tät... Ende 1999 kommt der Iraker Rafid Alwan (Dar Sa- lim) nach Deutschland. Er beantragt politisches Asyl und behauptet, als Che- mie-Ingenieur im Irak an der Produktion biologischer Kampfstoff beteiligt gewe- sen zu sein. Der Bundes- nachrichtendienst (BND) lässt ihn durch den Biowaf- fen-Experten Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) be- fragen. Der introvertierte Eigenbrötler Wolf hatte selbst bis 1997 im Irak nach Massenvernichtungswaffen gesucht. Alwan weiß, was er verlangen kann: eine ei- gene Wohnung und Voll- versorgung. Seine Aussa- gen erfreuen Wolf und vor allem seinen Vorgesetzten Schatz (Thorsten Merten). Wenig später 9/11, die Ame- rikaner kommen an Alwans Skizzen. Legitimation für ei- nen Krieg, aufgebaut auf ei- ner Lüge. 20 Jahre und ho- he Milliarden-Ausgaben später erobern die Taliban Afghanistan. Das Scheitern des BND in 108 Minuten. Packend bis zum Schluss. Nicht verpassen.
109´ Cinema














































































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