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 na dann... 22/2023
presseausweis 3
  Presseausweis
 Wenn Polizisten des SEK, die Gesichter mit schwarzen Sturmhauben verhüllt, mit vorgehaltenen Maschinen- pistolen in ein Haus stürmen, muss es sich um einen gefähr- lichen Einsatz handeln. Denkt man. Schließlich kennt man diese Bilder von bundeswei- ten Razzien gegen islamisti- sche Terroristen, Reichsbürger oder Drogenkartelle.
Letzte Woche konnte man wieder solche Bilder sehen. Es gebe eine bundesweite Razzia gegen LastGeneration, hieß es zur Erklärung. Es bestehe der dringende Verdacht, dass es sich um eine kriminelle Ver- einigung handle. Die Gene- ralstaatsanwaltschaft Mün- chen und das Bayerische LKA waren zunächst noch weiter gegangen und hatten in ei- ner gemeinsamen Pressemel- dung auf deutsch und eng- lisch gewarnt:
„Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung ge- mäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Genera- tion stellen mithin ein strafba- res Unterstützen der kriminel- len Vereinigung dar!)“
Das war in jedem Fall vorei- lig und ziemlich sicher falsch. Voreilig, weil solche Feststel- lungen in einem Rechtsstaat nicht durch die Staatsanwalt- schaft, sondern durch Ge- richtsurteil getroffen werden.
Ziemlich sicher falsch, weil sehr umstritten ist, ob „Zweck oder Tätigkeit“ von LastGene- ration „auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“.
Das Festkleben auf Straßen, um den Verkehr zu blockieren, kann Nötigung (§ 240 StGB) sein, wie einzelne Gerichte in- zwischen entschieden haben. Aber ist „Zweck und Tätigkeit“ von LastGeneration nicht dar- auf gerichtet, möglichst spek- takulär für mehr Klimaschutz zu demonstrieren?
In keinem Fall bestand Grund zu der Annahme, dass die Polizei bei der Razzia auf bewaffneten Widerstand sto- ßen würde. Es hätte wohl aus- gereicht, wie bei einer bundes- weiten Steuerfahndung vor- zugehen. So hat die Polizei ein fatales Signal an alle ge- schickt, die schon jetzt mei- nen, man könne im Weg ge- waltsamer Selbstjustiz gegen die „Klimakleber“ vorgehen.
Trotzdem bleibt es strafba- res Unrecht, wenn LastGene-
ration stundenlang Straßen blockiert. Aber es handelt sich dabei um zivilen Unge- horsam. Dieser ist laut Ha- bermas „ein moralisch begrün- deter Protest. Die Regelverlet- zung, in der sich ziviler Unge- horsam äußert, hat ausschließ- lich symbolischen Charakter.“ Und natürlich müssen straf- rechtliche Folgen der Regel- verletzung getragen werden, so Habermas.
Wir können also beruhigt sein. Oberbürgermeister Mar- kus Lewe (CDU) hat sich nicht mit Terroristen oder Mitglie- dern einer kriminellen Verei- nigung an einen Tisch gesetzt, als er letzten Freitag mit Mit- gliedern von LastGeneration gesprochen hat. Er hat ihnen in dem Gespräch auch das Notwendige gesagt:
„Nötigung von Bürgerinnen und Bürgern ist Unrecht und schadet dem Klimaschutz. Die freiheitliche Demokratie setzt keine politische Position abso- lut. Klimapolitik ohne Berück- sichtigung rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Interessen kann es nicht ge- ben.“ Das gilt allerdings auch umgekehrt. LastGeneration sollte Lewes Aufforderung be- herzigen: „Setzen Sie sich wei- ter für ihre berechtigten In- teressen ein. Aber im Rah- men unseres Rechtssystems.“ – Ruprecht Polenz





















































































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