Von Ruprecht Polenz, 22.06.2022

Schon 10 Millionen 9-Euro-Tickets ...

... seien verkauft worden, jubelte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Dieser Zuspruch zeige, dass die Maßnahme erfolgreich sei. Ob das stimmt, hängt freilich davon ab, was man für einen Erfolg hält.

Erklärtes Ziel - und damit Maßstab für Erfolg oder Misserfolg - ist die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Mit der Möglichkeit, den ÖPNV einen Monat lang für nur 9 Euro nutzen zu können, sollen neue Nutzer:innen auf den Geschmack gebracht und dauerhaft gewonnen werden.

Ob dieser Erfolg tatsächlich eintritt, werden wir erst in ein paar Monaten wissen. Das 9-Euro-Ticket gibt es nur im Juni, Juli und August. Danach gelten wieder die alten Preise. Insgesamt 2,5 Milliarden Euro lässt sich der Bund den quasi Null-Tarif für die drei Sommermonate kosten.

Zum Vergleich: Für den Aus- und Neubau der Schiene sind im Bundeshaushalt für 2022 mit 1,2 Milliarden Euro nicht mal die Hälfte dieses Betrags vorgesehen.

Die Bundesregierung hofft, dass viele durch das 9-Euro-Ticket auf den Geschmack kommen und auch in Zukunft das Auto stehen lassen.

Das wäre ja schön, aber Skepsis ist angezeigt. Der ÖPNV ist vor allem für Berufspendler:innen eine mögliche Alternative zum Auto. In der Presse wurde allerdings vor allem für lange Fernfahrten quer durch Deutschland für das 9-Euro-Ticket geworben. Mit Regionalzügen in neun Stunden fast umsonst von Berlin nach Sylt. Vorausgesetzt, man erreicht beim Umsteigen - das ist in diesem Fall drei bis fünf Mal nötig - die Anschluss-Züge. Sonst dauert es entsprechend länger.

Ist es wirklich in erster Linie der Preis, der vom Umstieg auf den ÖPNV abhält, wie die Bundesregierung glaubt, oder liegt es nicht viel eher an Defiziten im Angebot wie Verfügbarkeit, Zeittakt, Pünktlichkeit und Komfort?

Statt mit dem 9-Euro-Ticket ein Strohfeuer im Sommer anzufachen, von dem nach drei Monaten nur kalte Asche übrig bleibt, hätte man die 2,5 Milliarden Euro deshalb besser in eine dauerhafte und strukturelle Verbesserung des ÖPNV gesteckt.

Man hätte für das Geld beispielsweise 250 Regional-Express-Züge anschaffen können oder 73 ICE 4. Für die 2,5 Milliarden Euro könnte man 208 km Schienennetz bauen oder 4166 Elektrobusse kaufen. Und statt 3,5 Milliarden Euro für eine verfehlte Spritpreisbremse auszugeben, hätte die Bundesregierung auch dieses Geld für eine Stärkung des ÖPNV verwenden müssen. Jedenfalls dann, wenn man es mit Verkehrswende und Klimaschutz ernst meint. - Ruprecht Polenz

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