Von , 22.04.2020

Wie erleben Münsters Kulturschaffende... -

Wie erleben Münsters Kulturschaffende, Künstler*innen und Klein-Gastronom*innen den Shutdown des öffentlichen Lebens? Stehen sie vor dem Nichts oder haben sie einen Plan B? Wie gehen sie persönlich mit der Krise um?

Wir fragen nach …
…bei der Altenpflegerin Mia Lipke

Insgesamt herrscht eine erfreulich große Solidarität in den Nachbarschaftsquartieren.

Wie ist die Stimmung bei den Senioren in der ambulanten Altenpflege?
Natürlich gibt es momentan nur ein einziges Gesprächsthema. Viele fragen, ob sich schon jemand aus unserem Kundenkreis infiziert hat oder ob sie selbst auch einen Mundschutz tragen müssen, wenn wir zu ihnen kommen. Das müssen sie natürlich nicht, außer sie sind erkältet. Die meisten sind jetzt einsamer als sonst, weil die Kinder oder Freunde nicht mehr kommen. Darum sind wir als Ansprechpersonen besonders wichtig. Nur eine Dame meinte, es sei unverantwortlich, dass wir noch kommen und hat den Pflegedienst für sich abbestellt.


Wie haltet Ihr die Abstandsvorschriften ein?
Bei der Pflege kann man natürlich keinen Abstand halten. Im Rahmen der Ausbildung haben wir die Genehmigung, zu zweit zu erscheinen. Natürlich ist der Mundschutz Pflicht. Allerdings dürfen wir nur drei Masken pro Tag verwenden, gewechselt wird also erst, wenn der Schutz ziemlich durchnässt ist. Daher fertigt der ASB jetzt schon selbst Masken an. Die Fahrzeuge und Oberflächen im Büro werden ständig desinfiziert. Aus unserem Büro ist jedoch auch schon ein ganzer Karton Desinfektionsmittel gestohlen worden. Durch den Desinfektionsaufwand erhöhen sich natürlich die Einsatzzeiten. Andererseits verzichten manche Kunden nun vorsichtshalber freiwillig auf kleinere Betreuungen, zum Beispiel bei der Medikamenteneinnahme oder beim Duschen, wenn sie es sich selbst zutrauen.

Wie ist die Lage in den Altenheimen?
Da gibt es unterschiedliche Regelungen. In manchen ist generell kein Besuch mehr erlaubt, in anderen darf nur noch täglich eine Person kommen, und die muss immer identisch sein.

Wie werden die Senioren denn jetzt versorgt, wenn die Angehörigen fernbleiben?
Bei vielen hat sich in Eigeninitiative die Nachbarschaft organisiert und unterstützt die alten Menschen. Auch im Internet sind Hilfsinitiativen aktiv, zum Beispiel Einkaufsdienste. Insgesamt herrscht eine erfreulich große Solidarität in den Nachbarschaftsquartieren.

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Wir fragen nach …
…beim Gitarristen Helm van Hahm

»Mein Motto ist: Kreativität statt Krise«

Du unterrichtest Gitarre an Musikschulen. So etwas geht doch momentan auch ganz gut online, oder?
Ich unterrichte nicht mehr, ich habe diese Anstellungsverhältnisse gekündigt, um freier Musiker zu sein.

Du willst sagen, Du hast gerade jetzt Deine festen Jobs aufgegeben, um Künstler zu sein?! Bist Du verrückt?
Diese Entscheidung ist mehrere Jahre gereift und ich habe sie mir nicht leicht gemacht. Aber ich bin mit dem sehr verschulten Musikschulsystem überhaupt nicht einverstanden. Dienstanweisungen und Zensurengeben für das Vorspielen von Pflichtstücken entsprechen nicht einer Vorstellung von Selbstständigkeit. Ich musste mich fragen, bin ich Musikpädagoge oder Künstler? Ich bin Künstler und habe als solcher noch sehr viel vor.


Aktuell kannst Du aber nicht auftreten.
Stimmt, aber ich kann komponieren und arrangieren. Weißt Du, mit wirtschaftlichen Sorgen kann ich umgehen, aber man darf sich nicht von Ängsten beherrschen lassen, denn sonst kannst Du nicht frei gestalten. Mein Motto ist: Kreativität statt Krise. Darum macht es mir nichts aus, gewisse Sicherheiten aufzugeben.

Aber auch Musiker müssen von etwas leben.
Es gibt ja Unterstützungsangebote de Künstlersozialkasse und auch die GEMA bietet Vorauszahlungen gemessen an den Einnahmen der letzten Jahre an.
Was planst Du künstlerisch?
Ich habe meinen eigenen Stil gefunden, den ich weiterentwickeln will. Auf meine Interpretationen von Klassikern und Krimi-Filmmusiken habe‘ ich viel positive Resonanz bekommen. Schau mal bei www.helmvanhahm.de ‘rein, da kannst Du sehen und hören, was ich so mache…

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Wir fragen nach …
…beim Künstler Ruppe Koselleck

» Ich plane nämlich nicht mehr, BP zu zerschlagen, sondern in eine sinnvolle Richtung zu transformieren «

Wie ist die Lage für Dich als Künstler?
Klar, es gibt keine Ausstellungen, keine Workshops, keine Kurse. Mein nächster Ausstellungstermin, der nicht abgesagt wurde, ist im Dezember. Manche kommunalen Museen zahlen ein Ausfallhonorar, andere aber auch nicht. Merkwürdigerweise hängt die Entscheidung darüber aber nicht immer mit der finanziellen Lage der Kommune zusammen. Zudem hatte ich das Pech, dass ich krankheitsbedingt den Stichtag für die Künstlerförderung verpasst habe, nun hoffe ich auf die Unterstützung als Selbstständiger Allerdings bin ich künstlerisch auch schon lange im Internet aktiv, daher gab es für meine Arbeit keine große Umstellung für mich..


Dafür konntest Du Deinem Ziel der feindlichen Übernahme des BP-Konzerns näherkommen! Du willst den Ölmulti schlucken, weil Du Dich am Strand immer so über die Teerklumpen zwischen den Zehen ärgerst, für die BP wegen seiner Rohölförderung mitverantwortlich ist. Dazu verkaufst Du Rohölbilder zum Preis von BP-Aktien.
Genau! Ich will British Petrol übernehmen, zunächst in Ruppe Petrol umbenennen und dann zerschlagen.

Warum ist die jetzige Krise für Dich Konjunktur?
Ich bin als Rohölmaler ein echter Krisengewinnler, weil ich mich vom Kurseinbruch der BP group und damit den Verlusten eines Mineralölmultis ernähre. Über eBay kann man meine Bilder ersteigern und bei den Ramschkursen von BP habe ich jetzt schon 5.256 von etwa 18 Milliarden Aktien... und ich muss nachkaufen!

Aber das ist bei 18 Milliarden doch aussichtlos.
Nein, denn als Aktionär habe ich Rederecht auf der Hauptversammlung. Die wäre demnächst in London gewesen. Ich hoffe, es gibt eine Videolösung oder einen Nachholtermin. Am 20. April jährt sich nämlich die Ölkatastrophe der BP-Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zum zehnten Mal. Es war die bisher größte Ölpest weltweit. BP hat dafür 25 Milliarden Dollar gezahlt und konnte trotzdem die Dividenden erhöhen; das Kapital des Konzerns übertrifft das Bruttoinlandsprodukt vieler Staaten. Ich will dem neuen CEO von BP als kritischer Aktionär mal ein paar konstruktive Vorschläge machen.

Zum Beispiel?
Das gewaltige Potenzial an Forschungsmitteln, technologischem Knowhow und Geld lieber in die Energiewende als ins Ölgeschäft zu investieren. Ich plane nämlich nicht mehr, BP zu zerschlagen, sondern in eine sinnvolle Richtung zu transformieren…

Viel Erfolg!!

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Wir fragen nach …
… bei der Bio-Bäuerin Ulla Borghoff

»Alle Verbraucher wollen artgerechte Tierhaltung und Bio-Landbau, aber kosten darf es nix.«

Sind alle Landwirtschaftsbetriebe gleichermaßen von der Krise betroffen?
Besonders die mit vielen Saisonarbeitern. Großbetriebe dürfen die Erntehelfer allerdings einfliegen. Wir haben nur wenige polnische Saisonkräfte und die sind frühzeitig vor dem Grenzchaos gekommen und haben dann einfach noch Urlaub bei uns gemacht.

Was gibt es auf Eurem Hof aktuell zu tun?
Im Moment pflügen wir den Boden, dann werden die Getreideäcker bepflanzt. Außerdem ernten wir jetzt Salat und Kohlrabi, dann werden Kürbisse und Tomaten gepflanzt.


Sind Versorgungsengpässe bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu erwarten?
Das nicht, aber wir werden sehen, wie sich die Preiskurve entwickelt.

Ist die Erdbeersaison 2020 in Gefahr?
Nein, bei den Höfen in der Nachbarschaft sind alle Erntehelfer eingetroffen.

Manche Politiker fordern: ‚Jetzt müssen die Studenten ‘ran‘; manche Künstler haben gesagt, ‚Dann wird‘ ich jetzt eben Spargelstecher‘. Auf solche unmotivierten und ungelernten Kräfte habt Ihr gerade noch gewartet, was?
Das funktioniert einfach nicht. Solche Forderungen kommen in Intervallen immer wieder, z.B. Langzeitarbeitslose in der Landwirtschaft zu beschäftigen. Das geht nach hinten los, denn man muss sehr motiviert sein, um die harte Arbeit zu leisten. Für die ausländischen Helfer ist der deutsche Mindestlohn in ihren Heimatländern ein guter Verdienst, hier würde dafür niemand arbeiten wollen. Aber anders wären die niedrigen Marktpreise gar nicht zu halten. Darin liegt ja das Dilemma: Alle Verbraucher wollen artgerechte Tierhaltung und Bio-Landbau, aber kosten darf es nix. Wir können aber nicht Bioqualität zu Discounterpreisen produzieren. Wenn Lebensmittel mehr wertgeschätzt würden und angemessene Preise erzielen, dann kann ich auch heimische Arbeitskräfte anwerben, anlernen, zu Vorarbeitern ausbilden und im 8-Stunden-Betrieb beschäftigen. Jetzt muss ich aber wieder auf’s Feld…

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Wir fragen nach …
… bei Elly Kemper vom Hafenfest

Das Hafenfest ist hart gesotten! Wir haben auf jeden Fall den festen Willen, weiterzumachen.

Das Hafenfest wäre in wenigen Wochen gewesen. Ihr musstest lange auf eine offizielle Absage warten.
Ja, wir haben lange in der Luft gehangen, jetzt haben wir zumindest endlich Klarheit. Wir waren gezwungen, bis zuletzt so zu planen, als ob die Durchführung nicht fraglich sei, weil wir die Verträge mit unseren Partnern ohne eine staatliche Absage nicht einfach lösen konnten und wollten. Jetzt greift die ‚höhere Gewalt‘.

Könnt Ihr als Veranstalter Verluste kompensieren?
Wir sitzen als Veranstalter im selben Boot wie die Künstler oder Standbetreiber, weil wir ein privater Verein sind und als solcher keine nennenswerten Gewinne erwirtschaften dürfen. Dementsprechend haben wir keine Rücklagen. Kein Fest – kein Geld, so sieht’s aus.


Eine Verschiebung kommt nicht in Frage?
Wir prüfen natürlich jede Option, aber ein Hafenfest mit Abstandsvorschriften ist genauso unrealistisch, wie ein Hafenfest im Herbst.

Also heißt das Motto nun: Wir freuen uns auf 2021?
Das Hafenfest ist hart gesotten! Wir haben auf jeden Fall den festen Willen, weiterzumachen. Wegen der speziellen Situation am Hafen ist die Planung ohnehin extrem komplex, denn wir wissen im Voraus nie, wie die Baustellenlage zum Zeitpunkt des Festes ist. Du planst zum Beispiel ein Fluchtwegkonzept – und acht Wochen später sind die Wege zugebaut. Aber das haben wir immerhin 20 Jahre lang hingekriegt, diese Geschichte überstehen wir auch noch!

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