Von Honest John, 13.04.2022

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CHARLES MINGUS @ 100

"Making The Simple Complicated Is Common Place,
Making The Complicated Simple, That's Creativity".

Jazz war für verschiedene Menschen schon immer etwas anderes: Swing, Be-Bop, Fusion, Traditional, Ragtime und Dixieland. Aber die Frage, die ich wirklich stellen möchte, ist: Ist uns bewusst, wie alt Jazz wirklich ist?Verglichen mit klassischer Musik, ist Jazz natürlich recht jung, aber auch er ist älter als 100 Jahre: Die erste Plattenaufnahme für Jazz stammt aus dem Jahr 1917.

Die wirklich großen Innovatoren dieses Genres sind ungefähr alle zur gleichen Zeit geboren: Wir haben die Gruppe, die um die Wende des 20. Jahrhunderts geboren wurde, wie Duke Ellington, Coleman Hawkins und Louis Armstrong, und eine noch größere Gruppe, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs geboren wurde, wie Dizzy Gillespie, Nat King Cole und Charlie Parker. Was mich zu der Person bringt, die am 22. April 2022 100 Jahre alt geworden wäre, zum großartigen Bassisten/Komponisten Charles Mingus. Der Komponist und Bassist Charles Mingus war eine der umstrittensten Persönlichkeiten der Jazzgeschichte. Allerdings werden ihm nur wenige einen Platz unter den begabtesten verweigern.. Sein Beitrag zur Jazzgeschichte ist außergewöhnlich, doch ebenso bemerkenswert war seine Persönlichkeit, die sein Schaffen und sein Umfeld beeinflusste:

Mingus war ein kraftvoller Bassist, aber noch wichtiger war er als Bandleader und Komponist, der in seinen Kompositionen sowohl Blues-Wurzeln als auch Dissonanzen nutzen konnte. Ein rastloser und streitsüchtiger Mann, der dafür bekannt war, unaufmerksamen Zuhörern und Zuhörerinnen genau zu sagen, was er von ihnen hielt. Er soll sogar Mitglieder seiner Band geschlagen haben, die immer wieder Fehler machten und die nicht spielen konnten, was er für sie geschrieben hatte.

Charles Mingus wurde am 22. April 1922 in Nogales, Arizona geboren. Seine Eltern stammten aus verschiedenen Ethnien, darunter finden sich Afroamerikaner, Native Americans, Schotten und Hongkonger, Sein Vater förderte den Stolz auf sein afroamerikanisches Erbe nicht, daher wuchs Mingus mit vielen rassistischen Einstellungen konfrontiert auf und war sich aufgrund seines ethnischen Erbes oft nicht sicher, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe er gehörte. Sein ganzes Leben lang zeigte Mingus jedoch viele Qualitäten, die ihn zum idealen Bürger in der idealen Demokratie gemacht hätten. Zu diesen Qualitäten gehörte es, sich direkt gegen Vorurteile auszusprechen, sich nicht an die strengen Anforderungen der Musikindustrie zu halten, seine Musiker Individualität ausdrücken zu lassen und das Bedürfnis nach Freiheit interpretierte er durch seine kraftvollen Jazz-Performances und Kompositionen.

„I Play Or Write Me“

Ihm wird also noch 100 Jahre nach seiner Geburt größte Bewunderung für seine musikalische Verdienste zuteil, aber die Person Mingus wirkte zeitlebens verärgert und wütend. Um diese Haltung ein wenig besser zu verstehen, ist ein Blick auf seine familiäre und auf die gesellschaftliche Lage hilfreich.Ganz einfach,

Charles Mingus Sr. trat 1915 nach einer frustrierenden Karriere bei der Post in die Armee ein und wurde zum Sergeant befördert. Sein Großvater mütterlicherseits stammte aus einer chinesisch- britischen Familie aus Hongkong, und seine Großmutter mütterlicherseits war eine Afroamerikanerin aus den Südstaaten Amerikas. Tatsächlich war der Gründungspatriarch der Familie den meisten Berichten zufolge ein deutscher Einwanderer

Seine Mutter, starb nur fünf Monate nach Mingus‘ Geburt. Sie hatte zu Hause nur kirchliche Musik zugelassen, was für eine im Wesentlichen bürgerliche Familie der damaligen Zeit normal war. Die Zeiten in Los Angeles waren hart. Immer mehr Menschen zogen in die Stadt, und der kleine Vorort Watts verwandelte sich innerhalb eines Jahrzehnts in ein schwarzes Ghetto. Aber der junge Mingus war sehr geschützt vor all dem sozialen Druck und hatte großes Glück, als sein Vater wieder heiratete und seine Stiefmutter eine sehr aktive Rolle in seiner Erziehung übernahm. Mamie Mingus ermutigte Charles, sich für Musik zu interessieren und im Alter von sechs Jahren bekam er eine Posaune geschenkt. Nach einigen Jahren frustrierender musikalischer Erfahrungen entschieden die Eltern sich dann doch für das Cello, was ihm von Anfang an immer interessiert hatte.

Er hätte gerne Cello in einem Orchester spielen können, aber damals war es für einen schwarzen Musiker fast unmöglich, mit klassischer Musik Karriere zu machen. Aufgrund einer mangelhaften Ausbildung konnte der junge Charles nicht schnell genug Noten lesen, um dem örtlichen Jugendorchester beizutreten, was seine frühen musikalischen Erfahrungen nachhaltig prägen sollte und er fühlte sich von der klassischen Musikwelt ausgegrenzt. Diese frühen Erfahrungen, zusätzlich zu seinen lebenslangen Auseinandersetzungen mit Rassismus, spiegelten sich später in seiner Musik wider. Dabei ging es oft um Themen wie Rassismus, Populismus und Ungerechtigkeit.

Sein Interesse am Jazz hatte sich schon lange vor seiner klassischen Musikerfahrung entwickelt und er war bald davon überzeugt, dass der Bass nach dem Cello sein Instrument sein sollte. Ein Großteil der Cellotechnik, die er gelernt hatte, war auf Kontrabass anwendbar, und als er schließlich das Instrument in der High School aufnahm, war die ultimative Umstellung perfekt.

„His music had a lot of moving parts“

Die Lebensgeschichte von Charles Mingus ist wie ein Krimi von Agatha Christie. Leider werden wir nie erfahren, wer der Schuldige ist. Er starb, bevor er uns wahre Antworten darauf geben konnte, warum er sich selbst und alle und alles so sehr hasste.

Mingus‘ Musik umfasst eine Reihe von Einflüssen, die so breit gefächert sind wie seine nicht-musikalischen Interessen. Dieser Facettenreichtum in seiner Persönlichkeit kommt auch in seiner Musik zum Ausdruck: Seine Musik ist so breit gefächert, denn sie mischt Blues, Gospel, frühen Jazz (Dixieland), Swing, Bebop und Flamenco. Dazu die europäische Klassik von Bartók und Strawinsky, die er übrigens problemlos selbst am Klavier spielen konnte. Er versuchte, geschriebene Musik improvisiert und improvisierte Musik geschrieben klingen zu lassen. Wenn er wütend war, schrieb oder spielte er auf diese Weise und das Gleiche gilt, wenn er glücklich war. Er vergaß nie sich selbst und wofür er stand, er spielte und schrieb, wie er sich durch Jazz fühlte. Wenn Mingus kein genialer Komponist gewesen wäre, wäre er heute nur wegen seines Bassspiels unsterblich. Er ist derjenige, der den Bass vom bloßen Spielen im Takt und Halten des Taktes in einen melodischen verwandelt hat. Andererseits lebte er auch das romantische Ideal des Künstlerlebens. Stürmisch, launisch, obsessiv, tiefe Depression. Deswegen ließ er sich einmal im Krankenhaus behandeln und hat es dann doch noch bereut. Letztendlich gingen Mingus‘ Ziele über den Jazz hinaus. Er war einer der ersten Musiker, der Kritiker kritisierte, wenn sie das Wort „Jazz“ benutzten, um seine Musik zu beschreiben.

Auch wenn seine Musik tiefgründig schien, war er im Wesentlichen ein Groover, der es liebte, einen schönen, guten Church-Groove mit Swing zu haben, damit sich alle gut fühlten. Er hatte ein wirklich starkes Tanzelement, als er einige seiner Lieblingsstücke schrieb. Er konnte alle nach Belieben dazu bringen, mit dem Kopf zu wackeln, mit den Füßen zu wippen und schließlich zu hüpfen.

(Honest John, April 2022)

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