Von Günter, 16.08.2017

RIO MIRA/ EMMA RUSSACK/ DAVID RAWLINGS/ KATIE VON SCHLEICHER/ GIRL RAY/ BUNNY/ UNKLE/ BEHIND THE COUNTER WITH..

In dieser Woche beginnt der Wetterbericht mit RIO MIRA. Nie vorher gehört, auf dem Cover sehen sie so aus, als hätten alle Beteiligten neben der Musik noch einen ‚richtigen‘ Beruf. Der Albumtitel „Marimba del Pacifico“ umreisst den Inhalt recht gut. Marimba, grosse Trommeln, wenig andere Instrumente und Stimmen. Und keineswegs Pop-orientiert. Klingt eher, wie lebendige Tradition, nicht immer perfekt, unspektakulär aber unbedingt authentisch.

Unspektakulär trifft ebenfalls zu auf EMMA RUSSACK’s neues Album „Permanent Vacation“. Überwiegend ruhige, sparsam instrumentierte, sehr persönliche Songs. Akustisch pur oder auch mit Elektronics oder Rhythmus-Maschine, jedoch immer sehr dezent und zurückhaltend. Mit ganz wenig Aufwand arrangierte kleine Lieder mit hohem Wiedererkennungswert. Eine Stimme, die trägt, braucht keinen fetten Hintergrund.

Ebenfalls aus der Abteilung handgemacht stammt DAVID RAWLINGS‘ „Poor David’s Almanach“. Songs auf traditioneller C&W Basis mit entsprechenden Instrumenten, Harmonien und Refrains. Mit renommierten Gästen (u.a. Gillian Welch) an Stimmen, Saiten und Knöpfen analog produziert für den echten, warmen Sound, der solche Musik ganz sicher an den Charts und Format-Radios vorbei schleust.

Warum sie den Titel „Shitty Hits“ gewählt hat für ihre 1. richtige Platte, verrät auch der ‚Waschzettel‘ zu KATIE VON SCHLEICHER‘s CD nicht. Ebenfalls analog aufgenommen, zu hause, so wie z.B. McCartney oder Jeff Buckley, auf Bandmaschine. Das klingt einfach sehr anders als vom Laptop, und passt hervorragend zu ihrer eher skeptischen Weltsicht. In Stimmung und Tempo in der Nähe von Mazzy Star, ein Gefühl von Ohnmacht und Isolation vermittelnd und fast so unversöhnlich wie Tom Waits.

Juveniler Dreier

Ganz andere Probleme thematisieren die drei sehr jungen Damen (alle unter 20) von GIRL RAY. „Earl Grey“ haben sie ihr erstes Werk genannt, vielleicht als Hinweis darauf, dass sie wissen, das die behandelten Themen weniger individuell sie selbst, als vielmehr jede Menge junger Menschen belasten. Sie sind dabei absolut nicht bierernst, haben handwerklich, musikalisch und in den Arrangements durchaus Humor, machen ihr Ding so gut sie es können, halten das Ergebnis aber keineswegs für perfekt. Ein wenig ‚do it yourself‘ wie in den frühen Tagen des Punk.


Im Vergleich zu den Youngstern von Girl Ray sind die Beteiligten am Projekt BUNNY schon ‚alte Hasen‘. Alle 5 Herren stammen aus durchaus namhaften Combos Kanadas und betreiben ihr Bunny im Nebenberuf. Näher an Pop-Musik kommt in der heutigen Ausgabe niemand, vielschichtig und abwechslungsreich produziert in einer Mischung aus 60ies Tempo und Harmonien und aktueller Spiel- und Arrangierweise. Handwerklich ausgebuffte flotte Nummern, schöne Balladen, knapp an Kitsch vorbei und die Titel mit den Gastsängerinnen sind kleine Ohrwürmer.

James & illustre Gäste

Gut 25 Jahre nach dem Start von Mo‘ Wax kommt Label-Chef James Lavelle mit seinem 5. Album als UNKLE um die Ecke. Allein die Gästeliste würde diese Seite sprengen, in meinen üblichen 5 Zeilen kriege ich nicht mal eine vollständige Beschreibung hin. Weniger von elektronischem Gerät geprägt, als das Frühwerk und nicht so komplex und sperrig. Erkennbare Songs, richtige (richtig gute!) SängerInnen, mehr Harmonie als Beat, auch wenn der durchaus fett vorhanden ist. Keine ‚Break‘- Geschichte, dafür mehr Rock-Momente. „The Road:Pt. 1“ ist ein echtes Highlight dieses Jahres!


Faszinierender Einblick

Zum Finale robbe ich ein wenig in Richtung Kultur. Der Pilot-Sampler für die neue Reihe „BEHIND THE COUNTER WITH…“ wurde zusammengestellt von MAX RICHTER. Der viel gelobte und hoch geschätzte Musiker und Komponist in der Grauzone zur Klassik lässt uns auf Doppel CD (gemixt) oder Triple Vinyl (ungemixt) durch sein musikalisches Universum reisen. Beginnt mit Charles Ives, endet mit Steve Reich, dazwischen gibt’s den Aphex Twin und Low und noch andere Low-Fi oder Klassik Überraschungen. Alles sehr langsam, bewusst ausgesucht und hintereinander gereiht. Dem kann auch der nicht so geübte (Neo-)Klassik-Hörer gespannt folgen und damit auf ganz andere (musikalische) Gedanken kommen.


Archivtexte Ohrenschmauch

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