Ohrenschmauch
Von Günter, 13.09.2023
MOR KABASSI/ ARBENZ X WOGRAM DORAN JERJEN InALBON WÜRSCH/ VERONICA SWIFT/ PAERISH/ AKKU QUINTET/ JOHN RAYMOND & S. CAREY
Zurück auf meinem Abenteuer-Spielplatz. Zunächst mit einer nicht ganz einfachen, aber sehr schönen Musik. Vor relativ langer Zeit habe ich an dieser Stelle über eine CD von MOR KABASSI berichtet. Auf der trug sie sephardische Lieder (der spanischen Juden) in eher überlieferten Arrangements vor. Für ihr „Saat Arahman“ geht sie einen Schritt weiter, erweitert ihr Repertoire um yesidische oder marokkanische Traditionen, fügt eigene Kreationen hinzu und gestaltet die Arrangements moderner und flexibler. Dazu ihre geschulte Stimme und Intonation. Für den echten Genuss braucht es ein kleines Faible für arabische Stimm-/Sangeskunst.
Mehr solche Projektnamen und der Platz reicht nicht mal mehr für einen oberflächlichen Kommentar. ARBENZ X WOGRAM DORAN JERJEN InALBON WÜRSCH. Alle Beteiligten, alles Schweizer, genannt, das Werk heisst „Conversation #10 Inland“. Entstanden in der ‚Konzertverbots-Zeit‘ der jungen Vergangenheit spielt hier nicht ein fixes Ensemble, sondern die einzelnen Titel werden in unterschiedlicher Personal-Konstellation ausgeführt. Dabei reicht die Palette vom funkigen Opener über kollektive Passagen zu Jazz-Rock Variationen und (natürlich) intuitivem, freiem Zusammenspiel. Ist Jazz.
Aus dem Reggae ist mir der Begriff ‚Showcase‘ geläufig. Ein Künstler, meist Sänger, zeigt im Rundumschlag, was er alles drauf hat. In diesem Fall geht es nicht um einen Sänger, sondern um eine Sängerin, nicht um Reggae sondern um Jazz. VERONICA SWIFT zieht auf ihrer 2. Platte (ohne Titel), alle Register. Vom swingenden Ohrwurm ‚I am what I am‘ mit rasanter Scat-Einlage über Rock, Rock-Jazz, eingearbeitete Themen aus Opern zu Queens’s ‚The Show must go on‘, macht sie weder vor Trent Reznor noch vor A.C. Jobim im eigenen, individuellen Gewand halt. Eine echte Tour de Force, für die Band, für sie und die Hörenden.
Und dann kommt die Stelle an der ich denke, dass ich zu alt bin. Heute ist es die französische Band PAERISH. Klassisch besetzt, 2 Git, Bass, Drums, englisch singend wühlen sie in meiner Erinnerung, wobei ich vermute, dass sie die folgenden Vergleichsklänge vielleicht gar nicht kennen (wg. zu jung). Wer sich einen Mix aus den breitwandigen Gitarren von The Sound und der Feedback Kunst der Jesus and Mary Chain vorstellen kann und noch einen Dash Oasis dazugibt weiss, was hier gespielt wird. Ordentlich Druck, solides Handwerk und gut konstruierte Songs, daraus besteht „You’re in both Dreams“.
Obwohl ich schon viel zu viele horte, gibt’s immer wieder CDs (diese sogar als Platte!), die ich nicht wieder aus der Hand gebe. Ich zitiere Ane Hebeisen: „ Lieder, die wie grossflächige Teppiche wirken, wie wandfüllende, düstere Gemälde mit bunten Farbsprenkeln, Groove wird hier zum kompositorischen Element, Schönheit zu einem Akt der Konzentration, Improvisation nie zum Selbstläufer, sondern zum dramaturgischen Stilmittel. „Kinema“ heisst das Album des AKKU QUINTET, das mich im allerbesten Sinn an Brand X und deren ‚Unorthodox Behaviour‘ erinnert. Entspannter, souveräner, ja illuminierter kann m/f diese Variante Rock Jazz nicht ausführen.
Zum Finale eine sehr chillige Jazz Schönheit. JOHN RAYMOND & S. CAREY erschaffen mit vielen Helfern an akustischen und elektrischen Instrumenten eine ganz eigene Klangwelt. Bevorzugt um Trompete und Flügelhorn werden hier minimalistische Gewebe geschaffen, zu denen auf einigen Titeln sogar Gesang passt. Alles mit sparsamen Tonfolgen in wohltuenden Harmonien und mit grosser Ruhe ausgeführt. „Shadowlands“ ist für diese fast nächtlichen Klänge der richtige Titel.