Von Ruprecht Polenz, 10.05.2017

Wer bin ich, und wenn ja, wieviele? So hieß ein bekannter Buchtitel.

Wer bin ich, und wenn ja, wieviele?

Wer sind wir, und wenn ja, warum? So könnte man die Debatte überschreiben, die Innenminister Thomas de Maizière mit seiner Forderung nach einer deutschen Leitkultur angestoßen hat.
Zentraler Punkt ist für den Bundesinnenminister eine zur Leitkultur gehörende 'bestimmte Haltung': "Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand." Und weiter: "Wir sind eine offene Gesellschaft. Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka."

Natürlich sind wir kein Kleidungsstück. Aber in den sozialen Netzwerken sagen "wir" unseren Namen oftmals nicht. Viele Jugendliche geben sich nicht formal die Hand zur Begrüßung, und bei tief herunter gezogener Kapuze ist es mit dem Gesicht zeigen auch so eine Sache. Haben wir es hier mit Verstößen gegen unsere "Leitkultur" zu tun? Was soll daraus folgen?

Der Begriff einer Leitkultur macht nur Sinn, wenn diese eine gewisse Verbindlichkeit beanspruchen kann. Das führt unmittelbar zu der Frage: Wer legt fest, was zur deutschen Leitkultur gehört?
Es ist kein Zufall, dass über Leitkultur im Zusammenhang mit Zuwanderung, Flüchtlingen und Integration diskutiert wird. Auch deshalb sind das alles keine banalen Fragen. Es geht darum, wann man dazugehört - und wann eher nicht.

In unserem Rechtsstaat sind nur das Recht und die Gesetze für alle verbindlich. Wir sind eine pluralistische Gesellschaft mit vielen verschiedenen Weltanschauungen, Religionen und Lebensstilen. Es gibt Jugendkultur(en), bürgerliche Kultur(en) und alternative Szene(n). Die liberale Demokratie unseres Grundgesetzes ist der Rahmen für bunte Verschiedenheit. Jede und jeder darf nach seiner Facon selig werden, solange man sich an die Gesetze hält und anderen nicht schadet. Man nennt das Freiheit.

Im Grundgesetz haben wir die Werte zusammengefaßt, die wir dafür für unerläßlich halten. Außerdem unsere geschichtlichen Erfahrungen und die demokratischen Traditionen von 1848 und der Weimarer Republik. Das Grundgesetz ist unsere Leitkultur.

Aber reicht das? Sollten wir von den Zuwanderern nicht "irgendwie mehr" verlangen und erwarten? Ich finde, wir sollten von Zuwanderern nicht mehr erwarten als von den Einheimischen: Deutschsprechen, für sich selbst sorgen, sich an Recht und Gesetz halten.

Und dass man sich in einer Schlange nicht vordrängelt, dafür sorgen die Bemerkungen und bösen Blicke der länger Wartenden.

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