Von Stefan Bergmann, 11.04.2018

Die Neue Osnabrücker Zeitung

Die Neue Osnabrücker Zeitung brachte es in Ihrem Kommentar am Sonntag sehr schön auf den Punkt: Wollen wir sein wie die AfD, oder wie Münster?

Das erste wunderschöne Frühlingswochenende in Münster endete um 15.27 Uhr in einer Katastrophe. Wer bisher gedacht hat, in Münster gibt es keine Irren, die mit sich andere Menschen in den Tod reißen wollen, sah sich getäuscht. Dass es kein Islamist war, der die Tat begangen hat, macht es weder besser noch schlechter. Alle Verschwörungstheoretiker, allen voran die Hasspredigerin Beatrix von Storch, ließen es sich trotzdem nicht nehmen, bereits zwölf Minuten nach der Tat zu schwadronieren, dass die Amokfahrt irgendwas mit Merkels „Wir schaffen das!“ zu tun haben muss, ergo: es war ein Islamist, aber mindestens ein Ausländer, der da beim Kiepenkerl in die Menschenmenge fuhr. Als klar war, dass es ein ganz normaler Sauerländer mit psychischen Problemen war, blieb sie trotzdem dabei, dass die vielen Muslime in Deutschland gefährlich sind.

Münster hat an diesem Wochenende alles erlebt: Gewalt, Tod und Leid, die geballte Macht der Spinner und Ideologen im Netz, den medialen Massenauflauf - aber auch Mitgefühl aus aller Welt, Solidarität in der eigenen Stadt, die Besonnenheit der Menschen. Und eine Polizei, die deeskalierend arbeitete, auf Twitter vor Spekulationen warnte und Informationen preisgab - wenn auch spärlich und in niedriger Frequenz.

„Die Medien“, wenn es sie denn in dieser Gesamtheit gibt, berichteten besonnen. Wilde Spekulationen gab es nur von einzelnen (beispielsweise jenem rumänischen Kanal, der umgehend eine Fake-News-Meldung aus Amerika aufgriff und meldete, dass der Täter ein Kurde sei und damit den rechten Radikalen kurzerhand Grund zur Hoffnung gab). Unschön auch die Bild-Zeitung, die Fotos von direkt nach dem Anschlag online und im Blatt stehen hat, auf denen vermutlich Tote und Verletzte zu sehen sind. Aber auch dabei muss man als Rezipient ehrlich mit sich sein. Schauen wir hin, wenn wir solche Bilder sehen? Ja. Wir schauen hin. Anerkennen muss man die Rechercheleistung des Blattes. Es berichtet aus dem Abschiedsbrief des Täters. Sinngemäßes Fazit: ,Alle waren immer schlecht zu mir, ich habe dauernd Rückenschmerzen, alle haben Schuld an meinem Elend - nur ich nicht.’ Armer Verwirrter.

Was bleibt? Das Wissen, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. Wenn das Auto zur Waffe wird, ist Schutz kaum möglich. Das Wissen, dass immer die gleichen Kreise alles für sich und ihre politischen Motive ausschlachten - und sich fragen lassen müssen, was genau sie eigentlich berechtigt, sich moralisch über einen Attentäter zu erheben? Dass Münster in schweren Stunden zusammensteht und solidarisch ist. Egal ob Regenflut oder Amokfahrt: In dieser Stadt funktioniert einiges gut, was anderswo längst zerbrochen ist: Mitgefühl, Besonnenheit, Zusammenhalt.

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