Von Stefan Bergmann, 13.01.2021

Meine ostdeutschen Verwandten haben einen himmlisch antiquierten Ausdruck für etwas, das sie toll finden:

"Das fetzt!" Damit kann man auch dieses subvulgäre Wort "geil" vermeiden. Oder andere sprachlichen Juvenilismen, von denen nur die Duden-Redaktion behauptet, sie würden von Jugendlichen verwendet.

Also, was fetzt?

Die Äußerungen des neuen Bezirksbürgermeisters Stephan Nonhoff. Grüner. Zur Innenstadt. Das kann doch nicht gutgehen, oder? Die Grünen wollen doch nur klimaneutrale Fahhräder, hergestellt in Öko-Produktion von einem brasilianischen Kollektiv aus Straßenkindern, die einen Urwald-Tag machen. Nun gut, Schluss mit dem Zynismus. Eines kann man direkt sagen: Nonhoff hat Recht. Mit allem. Und man könnte seine Liste erweitern.

Er will den Verkehr aus der Innenstadt zurückdrängen. Er will eine Markthalle bauen auf dem Domplatz. Er mahnt mehr Diensteistungssinn bei den Innenstadthändlern an. Er will die Innenstadtparkhäuser, die nur Autos in Massen anziehen, umwidmen - in Fahrradparkhäuser, Clubs, Lagerflächen.

Ok, Lagerflächen in bester 1A-Innenstadtlage sind dann vielleicht doch wohl überzogen. Doch im Grunde hat Nonhoff recht. Er will heilige münstersche Kühe schlachten, und ein Shitstorm, der ihm so richtig um die Ohren fetzt, dürfte ihm gewiss sein.

Aber jetzt mal ganz ehrlich, und ich wiederhole mich damit: Warum quetschen sich Gelenkbusse durch die - in Nicht-Corona-Zeiten - rammelvolle Innenstadt? Warum halten die Busse fast im Dom, anstatt nur am Breul. Warum muss die pickepacke-enge Klemensstraße ein Neben-Busbahnhof sein? Warum kann in einer Markthalle - die es in so vielen südeuropäischen Städten gibt und die jedermann aus dem Norden als Synomym für mediterranes Marktgeschehen sieht - nicht auch auch jeden Tag auf dem Domplatz regengeschützt öffnen? Der münstersche Innenstadhandel sonnt sich im Glanze der Vergangenheit. Dass es nur noch wenige inhabergeführte Geschäfte gibt und die Ketten Münster längst vergleichbar machen mit zig anderen tollen Innenstädten: Das wurde stillschweigend zur Kenntnis genommen. Wenigstens haben die meisten stationären Ketten ein zweites Standbein, nämlich einen Online-Handel. Und der bringt Gewinne selbst dann, wenn es mal nicht so läuft im ebenerdigen Shop. Dass viele alteingesessene Läden online nicht übermäßig präsent sind, ist nicht nur ein Problem in Münster.

Aber zurück zur Innenstadt. Sie lebt von schönen Häusern am Prinzipalmarkt, vom Dom, vom Landesmuseum - also vom gesamten Ensemble. Dazu die üblichen Läden und ein paar schöne Koryphäen. Aber reicht es auch in Zukunft aus, ein architektonisches Freilichtmuseum zu sein mit angeschlossenen Ladenlokalen? Wo bleibt die Erlebnisqualität, die Aufenthaltsqualität? Wer sich zu lange am Dom aufhält, wird eingequetscht von Bussen, Autos, Radfahrern, Schimpftiraden inklusive. Der Kaffee im Marktcafé wird übertönt vom Verkehr. Der Prinzipalmarkt ist ein Spießrutenlauf zwischen Bussen, Lieferanten, Radfahrern und Autos. Noch immer ist die Stadt dem Verkehr gewidmet, und nicht dem Menschen. Und wenn ein Händler Kaffee aus einem schicken Dreirad heraus verkaufen will, dann schreien alle gleich Zeter und Mordio. Aber Busse sind ok, oder wie?

Das ist es wohl, was Nonhoff sagen wollte. Jeder einzelne Punkt von dem, was er vorschlägt, erfordert Mut, Visionen und Weitsicht. Und es gibt Tausend Gegenargumente, vorgetragen von den Bewahrern.

Und doch: Es fetzt!

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