Von Arno Tilsner, 15.12.2021

Am Donnerstag der vergangenen Woche erreichte mich...

am südlichen Rand Europas ein Anruf der WN-Redaktion.

Leser:innen hatten ihre Große Zeitung aufgefordert, wegen des unten stehenden Inserates in der na dannn... meine Gesinnung als Herausgeber zu überprüfen.

Ich sagte der Redakteurin: '2 x mit BioNTEC geimpft und 1 x mit Moderna geboostert, und Sie?'. Daraufhin beeilte sich die Dame, ihren gleichlautenden Impfstatus mitzuteilen. Wir konnten also über die Entfernung von gut 2.000 Kilometern einen virensicheren Dialog am Telefon beginnen.

Wenn Ihr etwas über meine Gesinnung in dieser Pandemie erfahren wollt, braucht Ihr nicht bei der Großen Zeitung nachzufragen. Ihr könnt meine Haltung voll transparent in den Presseausweisen des Jahres 2020 nachlesen. Auf www.nadann.de unterhalten wir ein Archiv. Dort werdet Ihr finden, dass ich schon ein Gesichtsschild getragen habe, als die Mehrheit von euch noch dem RKI zuhörte, das die Meinung verbreitete, eine Mund-Nasen-Bedeckung wäre für den Verlauf der Pandemie bedeutungslos. Ganz falsch.

Noch schlimmer die Fehlentscheidung der Politik, das bestens organisierte Impfzentrum in der Halle Münsterland am 23. September, drei (!) Tage vor der Bundestagswahl zu schließen. Ein populistischer Schritt, von dem sich Politiker:innen aller Färbungen Kreuze auf dem Stimmzettel versprachen. Die Botschaft sollte sein: wir haben das Gröbste hinter uns. Falsch, es liegt noch einiges vor uns.

Auch für die Zukunft habe ich eine eindeutige Haltung: ich werde boostern bis der Arzt kommt. Die 4. Impfe wird fällig, wenn im März oder April ein auf Omicron angepasster Impfstoff verfügbar sein wird und eine 5. Impfung spätestens im Zugang auf die nächste Herbst-Winter-Viren-Saison. Meine Gründe für impfen, impfen, wieder impfen sind so persönlich wie einfach zu verstehen: 1. Ich bin über 70 und habe kein Interesse, mein Immunsystem unvorbereitet mit SARS-CoV-2 zu messen. 2. arbeiten und leben wir seit Jahrzehnten abwechselnd in Münster und Andalusien. Die Lizenz zum Reisen wird auf mittlere Sicht nur gegen zeitnahes Boostern erteilt.

An dieser Situation sind die Ungeimpften Schuld, lautet die in der Mitte der Geimpften weit verbreitete Analyse. Falsch. Wenn etwas ursächlich ist, dann das Virus. Die Omicron-Variante hat sich nicht in ungeimpften Deutschen entwickelt, die seit Wochen aus dem öffentlichen Leben verbannt in ihren Kammern hocken, sondern mutmaßlich in Menschen, die in prekären Verhältnissen von der westlichen Impf-Wohlfahrt ausgeschlossen bleiben. Von der anderen Seite des Äquators haben nicht ungeimpfte Mitbürger:innen die neue Variante der Seuche eingetragen sondern doppelt Geimpft und Geboosterte, die sich dem offiziellen Sprachgebrauch folgend vor einer Infektion sicher fühlten. Eine falsche Sicherheit, wie wir jetzt wissen.

Diese Sicherheitslücke wird eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland nicht schließen. Deshalb muss ein solcher beispielloser Schritt offen diskutiert werden, bevor er Hals über Kopf beschlossen wird. Zu dieser politischen Diskussion sollten nicht nur eine kleine Gruppe Münsteraner aufrufen, an ihr sollten alle demokratischen Kräfte ein vitales Interesse haben.

Damit sind wir bei der Anzeige mit dem Titel: 'Montagsspaziergang - Wir stehen auf gegen die Impfpflicht!' Die Veröffentlichung ist uns nicht unterlaufen. Peter Balint hat uns um eine Plazierung des Inserats für die von ihm mitgetragene Initiative gebeten. Ich kenne Peter seit mehr als einem halben Jahrhundert. Er ist mein Jahrgang, wir sind Anfang der 1960er Jahre - mehr Kinder als Jugendliche - zum Schillergymnasium gegangen.


Während ich später mein Berufsleben mit der na dann... verbunden habe, hat Peter 37 Jahre im Öffentlichen Dienst gearbeitet, die letzten 20 Jahre als Oberstudienrat am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium. Anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand schreibt die WN 2014: "Balint unterrichtete (neben Italienisch, A.T.) auch Französisch, Literatur, Sport und Praktische Philosophie. Er brachte mit Literaturkursen Theaterwerke auf die Bühne. Sieben Jahre moderierte er die „Bunten-Stein-Splitter“. Auch die „Sportgala“ geht auf seine Idee zurück, und er pflegte die Kontakte zur Austauschschule in Fermo. „Peter Balint überzeugte als Solist oder im Ensemble“, teilt die Schule mit."

Mich überzeugt Peter Balint vor allem als Mensch. Er ist einer, den man einen feinen Kerl nennt. Ich kenne einige feine Menschen, die der Impfe und den staatlichen Maßnahmen kritisch gegenüber stehen. Beim Stand der Dinge wünsche ich mir, dass sie unter Abwägung aller Umstände zeitnah zu dem Entschluss kommen, ihr Immunsystem durch impfen auf eine Begegnung mit dem Virus vorzubereiten und nicht auf den 'Kimmich-Moment' zu warten (nach langem Zögern Impftermin nach der Infektion). Glück und Erfolg im Leben sind zu einem guten Teil eine Frage des Timings.

Einen feinen Menschen mit entschiedener Distanz zur Impfe habe ich unlängst in langen Gesprächen vom Seitenwechsel (ungeimpft zu geimpft) überzeugen können. Nicht durch Abgrenzung sondern durch stetige Einbindung in den Dialog über das, was bei dieser Pandemie abgeht. Dialog entspricht dem Geist in der Stadt des westfälischen Friedens, wo man lange über die Themen miteinander redet und verhandelt und weiter redet, um für alle tragbare Lösungen zu finden, auch wenn die Gegensätze an anderen Orten unüberbrückbar erscheinen. Ich werbe entschieden dafür, die Diskussion um Grundfreiheiten, die in der Pandemie eingeschränkt wurden, aus der Position des/der Geimpften zu führen.

Das gilt auch für die Diskussion rund um eine Impfpflicht. Wenn sie denn beschlossen werden sollte, wird sie bis auf weiteres zur Dauer-Impf-Pflicht. Ohne den Eintrag des topaktuellen Boosters fallen im kommenden Herbst 2 mal Geimpfte und 2 mal Geboosterte in den Status Ungeimpfter zurück, wie es dieser Tage bereits für 'nur' Geimpfte gesellschaftliche Praxis wird. 'Nur geimpft' heißt es dann: Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nur mit Booster. Wir müssen darüber nicht spekulieren. Die Wirklichkeit holt die wildesten Spekulationen gerade ein. Allen Ernstes öffnet die Landesregierung in NRW inzwischen die Impfstellen für Dritt-Impfungen 4 Wochen nach der Zweit-Impfung.

In der Politik gibt es für wilde Kurswechsel ein Narrativ. Es heißt, man fahre auf Sicht. Vorsicht, es sind schon Leute auf Sicht vor die Wand gefahren. Eine Impfpflicht hat viele äußerst kritische Punkte, von denen ich nur drei nennen will: 1. osteuropäische 'Erntehelfer', ohne die in der deutschen Landwirtschaft zu Erntezeiten nix geht. 2. osteuropäische Berufskraftfahrer, ohne die der heute schon äußerst angespannte Transportsektor schwer gestört werden wird. 3. osteuropäische Pflegekräfte, die das personelle Rückgrad der häuslichen Altenpflege in Deutschland bilden. Alle drei Personengruppen sind hier unverzichtbar.

Die Ankündigung einer Impfpflicht 3 Tage nach der Wahl vom gleichen Personal, dass eine Impfpflicht 3 Tage vor der Wahl kategorisch ausgeschlossen hatte, ist keine vertrauensbildende Maßnahme. Eine breite politische Diskussion über diese Ankündigung ist das Mindeste, was man in einer Demokratie von Demokrat:innen erwarten kann. - Arno Tilsner

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