Von Stefan Bergmann, 26.10.2022

Die Nachricht, dass es in diesem Jahr ...

... keine Hafenarena zur Fußball-WM geben wird, ließ aufhorchen. Zu Beginn hatte man noch die Hoffnung, dass es sie nicht geben wird, weil die Umstände der WM - ihre Vergabe, der Bau der Stadien, die menschenrechtliche Situation im Land - die Hafenarena-Chefs bewogen haben, darauf zu verzichten.

Nun, die Gründe sind andere. Das erfuhr man, wenn man mehr als nur die Überschrift in der Zeitung las. Trotzdem ist Münster mit seiner Entscheidung gegen Public Viewings ganz nah dran am Zeitgeist. Es gebe deutschlandweit „kaum Anfragen“ für große öffentliche Veranstaltungen, hat der Bayrische Rundfunk recherchiert. Exemplarisch Augsburg: "Die schweren Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Fußball-WM in Katar sind mit den Werten der Friedensstadt Augsburg nicht vereinbar." Eine solche Begründung hätte Münster auch gut gestanden, sieht man sich doch als Friedensstadt. Aber in diesem Punkt blieb die Politik in Münster ziemlich farblos.

Aber wie auch immer: Die kalte Jahreszeit, die Konkurrenz zum Weihnachtsmarkt, die unberechenbare Corona-Lage - diese Ablehnungs-Gründe führte Veranstalter Bernd Redeker an. Alles richtig und es bleibt allen Restaurantbesitzern und Veranstaltern zu wünschen, dass sich bei ihnen endlich mal wieder so etwas wie eine normale Geschäftstätigkeit einstellt.

Wer einmal testen möchte, wie sich Unterdrückung und Verfolgung anfühlt - ohne dabei die Reise nach Katar anzutreten, dem sei empfohlen, einmal probeweise die App „Ehteraz“ aufs Handy zu laden. Ich verspreche: Es passiert nichts. Außer dass sich ein mulmiges Gefühl einstellt. Diese App muss laut Behörden-Vorschrift jeder installieren, der zur WM nach Katar einreist. Sie ist offiziell eine Corona-Warn-App. Doch sie kann noch so viel mehr, was Schlapphüte und kanarische Menschenverfolger frohlocken lässt. Denn anders als die deutsche Warn-App sendet sie den aktuellen Standort ihres Nutzers aktiv an ein Datenzentrum. Natürlich nur, um festzustellen, wer mit Corona-Kranken in Berührung kommt. Oder vielleicht doch um zu schauen, ob sich Touristen mit katarischen Menschenrechtlern treffen? Ob man heimlich in eine heimliche Schwulen-Bar geht? Ob man den ausgebeuteten Stadion-Arbeitern zu nahe kommt?

Im Installationsprozess wird die App penetrant. Standort-Funktion einschalten!, fordert sie penetrant auf. Bluetooth einschalten! Wer das nicht macht, kriegt die App nicht ans laufen. Und darf folglich nicht zur WM. Es beschleicht einen das Gefühl, dass da jemand ins Handy einbrechen lassen will. Die App habe Zugriff auf alle Daten auf dem Handy, wird gewarnt. „Lassen Sie Ihr Handy zuhause“, raten folglich Datenschützer wie netzpolitik.org. Vielleicht könnte man auch den alten Nokia-Knochen aus der Schublade grabbeln. Doch das ist keine gute Idee. Mit dem lapidaren Satz „Es gibt kompatible Smartphones in allen Preislagen“, raunt die offizielle Ehteraz-Website. Auf gut deutsch: Kein Handy, keine App - keine WM.

Herzlich willkommen bei der „WM der Schande“! So drückt es die Sportschau aus. - Stefan Bergmann

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