Von Ruprecht Polenz, 26.07.2023

Es gibt es noch ...

... das „Sommerloch“. Der Ausdruck bezeichnet die nachrichtenarme Zeit im Juli / August, in der Regierungen und Parlamente in Urlaub sind und die Zeitungen trotzdem gefüllt werden müssen. Der Name „Sommerloch“ kommt von Loch Ness in Schottland, wo regelmäßig im Juli ein gewaltiges Ungeheuer gesichtet wurde, mit dessen verschwommenen „Fotos“ sich gruselige Artikel illustrieren ließen.

Während ich diesen Presseausweis schreibe, wird in Berlin ein real ausgebrochener Löwe durch die Stadt gejagt - ausführlicher und bundesweit journalistisch begleitet als in Zeiten höherer Nachrichtenkonkurrenz. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es sich wohl nicht um einen Löwen gehandelt hat, sondern um ein Wildschwein. Die Gefahrenlage wurde aufgehoben, die Jagd in Kleinmachnow abgeblasen.

Zuvor war die Sicherheit in Schwimmbädern ein bundesweit breit diskutiertes Thema. Der Anlass waren Übergriffe im Berliner Columbiabad. Gruppen von Jugendlichen ausländischer Herkunft hatten Frauen und andere Badegäste belästigt, waren sexuell übergriffig und auch gewalttätig geworden. Auch aus anderen Freibädern außerhalb der Hauptstadt wurden ähnliche Vorfälle gemeldet.

Öffentliche Sicherheit ist ein wichtiges Thema, keine Frage. Und wir alle wollen unbesorgt ins Schwimmbad gehen können. Deshalb ist es wichtig, dass der Berliner Stadtbezirk Neukölln die Lage im Columbiabad in den Griff bekommt. Genauso, wie anderswo die jeweils zuständigen Gemeinden und die Sicherheitsbehörden ein ungestörtes Badevergnügen in den öffentlichen Schwimmbädern sicherstellen müssen.

Wegen anderer Hautfarbe und „arabischen Aussehens“ der jugendlichen Täter wurden die Vorfälle im Neuköllner Columbiabad allerdings sehr schnell zu einem generellen Versagen der Integration stilisiert. Auf einmal schaffte es jeder Vorfall in irgendeinem deutschen Schwimmbad in die bundesweiten Schlagzeilen, um diese These zu bestätigen.

Natürlich ist, wie immer bei Straftaten, jeder Vorfall einer zu viel. Aber ein Gesamtbild ergibt sich aus ein paar Einzelfällen eben auch nicht. Die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen e.V. hat in den letzten vier Wochen 17 bis 20 Vorfälle gezählt, bei 3000 Bädern und vielen Millionen Besucher:innen. Dabei zählt sie zu „Vorfällen“ alles von Beleidigungen und Drohungen bis zu körperlicher Gewalt. Der migrantische Hintergrund spiele eine Rolle, aber nicht nur, heißt es dazu.

Aber man dürfe das doch nicht relativieren, wird auf solche Hinweise gern geantwortet. Relativieren heißt, etwas zu einer Sache in Beziehung setzen und dadurch abzuschwächen. Wer sich gerade wegen der Schwimmbäder ängstigt, regt sich über Relativierung auf. Wer überlegt, ob man heute mit den Kindern ins Freibad gehen könne, sollte sich die geringe Zahl der bundesweiten Vorfälle ansehen, die Badesachen einpacken und den Tag im Schwimmbad genießen. – Ruprecht Polenz

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