Von , 06.07.2011

Worte sind schnell gesagt. Deshalb gibt es davon auch jede Menge, so viele, dass man im Getöse der öffentlichen Meinung schnell die Orientierung verlieren kann.

BILD am SONNTAG hilft und fragt Daimler-Chef Dieter Zetsche: "Was würden Sie tun, wenn Deutschland Daimler wäre?" Noch konkreter wollen MICHAEL BACKHAUS und BURKHARD UHLENBROICH wissen: "Wie sicher ist unser Wohlstand in Deutschland und Europa?" Zetsche: "Wie wir in fünf bis zehn Jahren dastehen, hängt davon ab, ob wir heute gute oder schlechte Entscheidungen treffen." ... :-)) ... "Der Bundestag hat in dieser Woche die Energiewende beschlossen, ohne dass die Folgewirkungen wirklich bekannt sind. In einem Unternehmen wie Daimler würde über eine solche Weichenstellung nur in voller Kenntnis der Alternativen entschieden werden. Sonst können wir keine fundierte Entscheidung treffen. Das habe ich beim Thema Energiewende aber noch nicht gesehen. Es ist nicht auszuschließen, dass es funktioniert, wir wissen es aber noch nicht wirklich."

Nein, wir wissen es nicht, trotzdem tun wir es. Mit dieser unter Industrieländern beispiellosen Radikalität, die sich auf einen breiten Konsens in der Gesellschaft gründet, steht Deutschland an der Spitze der nächsten industriellen Revolution. Nach 30 Jahren intensivster Vorbereitung durch eine grüne Volksbewegung trauen wir uns zu, im eigenen Land unser Verhältnis zur Energie neu zu definieren.

Wie zur Energiewende bestellt rückte am Wochenende ein Kraftstoff mit dem Namen Carbazol ins Blickfeld, bei dessen Entwicklung ein Team um Wolfgang Arlt, Professor für Verfahrenstechnik an der Universität Erlangen, weltweit führend ist. Es handelt sich bei Carbazol um eine Kohlenwasserstoffverbindung, die in ihren Eigenschaften dem Dieselkraftstoff ähnelt, zusätzlich aber über die Fähigkeit verfügt, Wasserstoff aufzunehmen und mit Hilfe eines Katalysators wieder abzugeben. Brennstoffzellen können den Wasserstoff - in Autos auch während der Fahrt - emissionsfrei verstromen. Die Trägerflüssigkeit wird gesammelt und beim Tanken gegen mit Wasserstoff aufgeladenes Cerbazol ausgetauscht. Eine Kreislaufwirtschaft, die es in sich hat!

Dank jahrelanger Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist Daimler heute führend auf dem Weg zur Marktreife von Brennstoffzellenfahrzeugen, übrigens ohne vorher gewusst zu haben, wie der in Gasform hoch explosive Wasserstoff sicher und zugleich wirtschaftlich gespeichert werden kann. Daimler hat Milliarden in diese Fahrzeugentwicklung gesteckt, im Vertrauen darauf, dass Wissenschaftler und Ingenieure das Speicherproblem lösen werden. Genau so macht man es, wenn man morgen mit hervorragenden Lösungen Spitzenergebnisse erzielen möchte. Das gilt nicht nur für Unternehmen, auch Gesellschaften fällt ein Spitzenplatz nicht in den Schoß.

Ein flüssiger Wasserstoffspeicher wie Cerbazol eröffnet auch eine mögliche Perspektive für die Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Mittelmeer-Staaten. Statt am Tropf der SteuerzahlerInnen Nordeuropas zu hängen, können sie die Europäische Gemeinschaft besser mit Kraftstoff beliefern. Die intensive Sonneneinstrahlung in ihren Ländern lässt sich in Solarkraftwerken in Strom wandeln, der Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff spaltet. Der Wasserstoff wird für den Alltagsgebrauch im Cerbazol gespeichert und kann per Pipeline zu den Verbrauchern geschafft werden. Am Ort des Verbrauchs wird in Brennstoffzellen aus Wasserstoff Strom. Wenn es so weit ist, sind wir - aus dem Atom-Zeitalter raus - im Wasserstoff-Zeitalter angekommen. - Arno Tilsner

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