Von , 10.08.2011

Ich erinnere mich an eine dreieinhalb Jahrzehnte zurück liegende Episode, in der ein junger, engagierter Dozent der Wirtschaftswissenschaften und ein beisitzender Professor der Geographie versucht haben, mein Wissen im Hinblick auf magische Drei-, Vier- und Vielecke mit dem damals aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften abzugleichen. Am Ende der Sitzung sollte für mich eine Note stehen.

Ich machte kein Hehl daraus, dass mich die Beschreibung wirtschaftlicher Zusammenhänge in den unterschiedlichen Konstellationen von Mehrecken nicht sonderlich interessierte und lenkte die Diskussion auf ein anderes Thema: unter der Annahme, dass mit fortschreitender Entwicklung der Industriegesellschaften die Profitrate tendenziell fällt, ließ sich Mitte der 70er antizipieren, dass die Menschheit auf bestem Weg war, die Welt in eine Müllhalde zu verwandeln. Wir führten eine engagierte Debatte, die zwar keine Annäherung der Ansichten brachte, aber immerhin eine akzeptable Note.

Wenn ich in dieser Woche auf die Geschichte aus dem letzten Jahrhundert zurück komme, so deshalb, weil im Mittelpunkt der wirtschaftswissenschaftlichen Theoreme seinerzeit Aktivitäten der Notenbanken standen, die in den nationalen Wirtschaftsräumen die zu chaotischen Übertreibungen neigenden Marktkräfte im Zaum ihrer Drei-, Vier- und Vielecke halten sollten. Immer, wenn die Theorie von der Wirklichkeit überholt wurde, kam im Modell eine Ecke hinzu.

Ohne diese Wissenschaft in ihrem Fortschritt beobachtet zu haben, mutmaße ich, dass es heute nicht mehr um Ecken sondern um mehrdimensionale Modelle geht.

In der für Millionen Menschen existentiellen Wirklichkeit aber läuft die Europäische Zentralbank seit Monaten den Ereignissen auf den Finanzmärkten hinterher, statt in einem definierten Wirtschaftsraum entschieden den Ton anzugeben. Die Wirtschaftswissenschaft guckt dabei zu, dann auf ihre komplexen Modelle, staunt und spricht mit vielen Stimmen.

Um einen kollektiven, weltweiten Staatenbankrott abzuwenden, ist diese neutrale, beobachtende Haltung zu wenig. Es müssen Forderungen auf den Tisch, die nach überschaubarer Diskussion Gesetz werden.

Vordringlich ist eine weltweit zu erhebende Finanztransaktionssteuer, die aus den unvorstellbar gewaltigen, pausenlos um den Globus jagenden Kapitalströmen die Geldbeträge abzweigt, die notwendig sind, um die Schäden zu beseitigen, die eine unzivilisierte Gier des Geldes nach mehr Geld in den Gesellschaften hinterlässt.

Eben (Montag 17 Uhr) lese ich, dass nach Italien und Spanien nun auch Frankreich vom Zielradar dieser unendlichen Gier erfasst ist. Bis nach Deutschland (bis zum eigenen Lehrstuhl) sind es jetzt nur noch wenige Kilometer. - Arno Tilsner

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