Von , 29.01.2014

Hefte raus – Klassenarbeit! (Andreas Degenkolbe)

Andreas Degenkolbe

Wir beginnen mit einer Textaufgabe: ein Landwirt, nennen wir ihn Herrn L., hat 10.000 Rinder. Alle stehen in einzelnen Stallplätzen. In diesem Jahr kommen ca. 1.500 Kälber dazu. Herr L. muss also 1.500 Stallplätze zusätzlich bauen. Das macht er auch, sogar mehr noch: Herr L. stellt sich gemeinsam mit seinem Sattelträger, nennen wir ihn Herrn S., auf den Marktplatz und ruft triumphierend „Wir haben nicht nur 1.500 Stallplätze gebaut – sondern sogar 1.600!


Wir sind die Größten! Wählt mich zu Eurem Chef und wir machen genau so weiter!“

Die Menge applaudiert, die Hofschreiber notieren sich dienstfertig nickend seine Worte.

Was Herr L. der Menge nicht sagt: gleichzeitig hat er 200 Stallplätze an wohlhabende Reiter verkauft, die dort ihre Pferde unterstellen. 300 weitere Stallplätze wurden abgerissen.

Aufgabe: rechne aus, ob Herr L. genügend Stallplätze für seine Kälber gebaut hat, und falls nein, wie viele fehlen. Besprich im nächsten Gemeinschaftskunde-Unterricht mit Deinem Banknachbarn, ob Herr L. jemand ist, dem Du vertrauen würdest.

Male im Kunstunterricht dazu ein Bild von der überteuerten Wohnung, in der Du mit Deinen Eltern und Deinen Geschwistern lebst.

Diese Aufgabe kann jedes Grundschulkind leicht lösen.
In der Politik jedoch sieht es mit dem Rechnen düster aus: Die größte in Münster regierende Partei legte im Schulterschluss mit Freunden aus der Verwaltung die aktuellen Zahlen zur Schaffung neuen Wohnraums dar, sprach stolz davon, man habe nicht nur das Soll von 1.500 Wohnungen erfüllt, sondern mit 1.960 Wohnungen sogar übererfüllt.

Sie sind einfach die Größten!

Die örtliche Tagespresse übernahm diese Pressemitteilung unkommentiert, nahezu Wort für Wort. Dabei sollte man doch wissen: Durch „Copy & Paste“ wird man nicht zum Freiherrn von und zu – das läuft eher umgekehrt. Einfaches Übernehmen von PR-Texten, präsentiert als journalistische Arbeit, birgt nämlich gewisse Gefahren.

Denn leider wurde auch hier etwas „vergessen“; eine stattliche Anzahl Wohnungen wurde abgerissen oder verkauft, in Privatwohnraum umgewandelt oder zu Luxuswohnraum hochsaniert. Damit ist das Soll an zusätzlichem, bezahlbaren Wohnraum also keineswegs erfüllt.

Dieser unbeholfene Taschenspielertrick aus Politik und Verwaltung wird dann auch noch auf die letzten 5 Jahre angewandt, mit identischer schulterklopfender Bewertung.

Tatsächlich sah es in den letzten fünf Jahren kein Stück besser aus, in Münster fehlen somit mehrere tausend bezahlbare Wohnungen.

Was lernen wir daraus?

Wenn man mal nicht weiter weiß, aber trotzdem weiterkommen will, lässt man einfach ein paar Zahlen oder Zeitangaben weg, dann passt das schon.
Oder man lernt von einer Bundesministerin, die zu solchen Zwecken gerne und oft Statistiken einfach erfindet. Aber die kann immerhin bis 7 zählen, das hat sie bewiesen.

Klingt komisch, ist aber so.

Und jetzt kommt gut nach Hause, heute gibt es keine Hausaufgaben – nur der Herr L. schreibt bis morgen ganz christlich tausend Mal „Ich soll kein falsch Zeugnis ablegen“...

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