Von , 05.03.2014

Arno Tilsner

Arno Tilsner

Neulich besuchte ich die Ausstellung Das unbekannte Münster - Fotos von 1950 bis 1965 im Stadtmuseum. Wir hatten in der na dann… für den Aushang geworben. 1950 geboren zogen meine Eltern mit meinem älteren Bruder und mir 1953 nach Münster. Mich interessierte, welche Reste von Erinnerungen Willi Hänscheids Fotographien in mir wach rufen würden.
Die Bilanz war ernüchternd. Präsenter als vor dem Ausstellungsbesuch erinnerte ich mich an das Gefühl meiner ersten Monate in der fremden, urbanen Umgebung und meinen Unmut über den Trümmerhaufen, in dem ich gelandet war.
Ja, ein Trümmerhaufen: zu dem wird jede Stadt, über die ein gottverdammter Krieg hergezogen ist und herziehen wird. Daran sollte 'Dr. Steelhammer' denken, wenn er heute die Generalmobilmachung für die Ukraine fordert.
Ich kam vor 60 Jahren vom Ternscher See, hatte gerade einen herrlichen 3. Sommer mit allen Freiheiten dieses 'Wohnens am Wasser' hinter mir und durfte im nächsten mit einem Schwarm lärmender Altersgenossen auf Trümmerfeldern spielen.
Auch wenn die Ausstellung ihren Schwerpunkt zeitlich eher 1960 als 1950 hat fehlt in den Bildern noch eine Dekade, bis Münster das Feng Shui des 'tausendjährigen Reiches' endgültig abschütteln konnte.
Investoren, Herr Polenz, - öffentliche und private - hatten am neuen Münster ihren entscheidenden Anteil. Neue Stadt gibt es nur mit frischem Geld. Zum frischen Geld kam nach dem Ausstellungsende (1965) ein frischer Geist. Eine ganze Generation rechnete gründlich mit dem verlorenen aber nicht verschwundenen Habitus von Hitlers (einstiger) Jugend ab. Münster - gleichwohl nicht Frankfurt oder Berlin - bildete in seiner Art ein eigenes Zentrum dieser Bewegung.
Mag sein, dass der Blickwinkel arg subjektiv ist: aber die langen Schlangen vor Münsters Innenstadt-Kinos - dieses zauberhafte Bild aus den 80er Jahren - markieren für mich eine Zeit, als Geld und Geist fröhlich miteinander spielten. Danach fielen Investoren in den Promenadenring ein. Statt mitten in der Stadt landeten die Kinos (subjektiv gesehen) am Ende der Welt - zentralisiert in einem Komplex hinter den Gleisen - um nicht im mörderischen Wettbewerb mit dem Komplex eines konkurrierenden Investors aufgerieben zu werden. Geld kann nicht nur Strukturen aufbauen, Geld kann auch Strukturen zerstören.


Am Hauptbahnhof mit dem langen, freundlichen Mittelgang hat Geld dieser Tage eine neue Qualität des Kommens und Gehens aufgebaut. Nein, Herr Polenz, Münster ist keine Insel. Münster schaut auch verkehrstechnisch in die Zukunft, gerade weil über manchen Straßenplanungen von vor 40 Jahren noch immer Gras wachsen darf. - Arno Tilsner

Archivtexte Presseausweis

Beiträge 2014