Von , 26.11.2014

Arno Tilsner

Arno Tilsner

Vor gar nicht langer Zeit hätte ich es kaum für möglich gehalten, einen Presseausweis mit einem langen Zitat von Hans Dietrich Genscher zu beginnen. Heute ist es so weit.


In einem Interview mit dem Nachrichtensender ntv sagte er dieser Tage zur Entwicklung der Beziehungen zwischen EU und Russischer Föderation: "Als die Mauer gefallen war, hat man die Charta von Paris (offiziell: "Charta von Paris für ein neues Europa“, A.T.) beschlossen. Alle Beteiligten haben gesagt, wir wollen jetzt gemeinsam das europäische Haus bauen. Das hieß im allgemeinen Verständnis - in meinem in jedem Fall -, dass wir nach dem Ende des Kalten Krieges die Teilung Europas überwinden.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass es im Westen Leute gibt, die dieses Ziel der Überwindung der Teilung Europas vertauscht haben gegen ein anderes, nämlich die Teilungslinie aus der Mitte Europas an die Westgrenze Russlands zu verschieben - (ab hier inzwischen gekürzt, A.T.) - und die europäische Union und die Nato als Vereinigungen zu interpretieren, die gegen Russland gerichtet sind. Das ist ein historisches Missverständnis, aus der historischen Rolle, die unser Bündnis und die EU gespielt haben, die ja immer das Ganze im Auge halten. Dorthin müssen wir zurückkehren. Wir dürfen es nicht weiter zu einer Konfliktentwicklung kommen lassen, die unter Umständen einmal außerhalb der Kontrolle steht. Das heißt nicht, dass auch mal im Osten Fehler gemacht wurden." (Quelle:http://www.zeitpunkt-magazin.de/News-2823).
Klare Worte von einem der Männer, die die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und ein Vierteljahrhundert vertrauensvoller Zusammenarbeit in Europa auf dem Verhandlungsweg möglich gemacht haben.

Ein zweiter der dieses diplomatische Kunststück maßgeblich mit zum Erfolg führte, hat nach den Feierlichkeiten zum 25 Jahrestag des Mauerfalls Kanzlerin Merkel besucht und um Verständnis für die russische Politik geworben: Michail Gorbatschow.

Am Morgen nach dem Gespräch schrieb Gabor Steingart im Handelsblatt: "Michail Gorbatschow hat bei Angela Merkel kein Gehör gefunden. Seiner Aussage, der Westen trage Mitverantwortung an der Verschlechterung des Ost-West-Klimas, wurde vom Kanzleramt mit den Worten kommentiert, Gorbatschow sei "ein Mann der Zeitgeschichte", was im Klartext bedeutet: ein Mann von gestern. Die Worte der Mächtigen führen oft ein Doppelleben - als Lob und als Gemeinheit.“

Ich lese in Frau Merkels Bemerkung vor allem Geschichtsvergessenheit und Hochmut.

Bleibt mir für Europa zu wünschen, dass sich in Zukunft wieder mehr Politiker/innen finden, die eine exzellente Diplomatie als Grundlage für Völkerverständigung wagen. - Arno Tilsner

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