Von , 04.11.2015

Stefan Bergmann

Stefan Bergmann

Wir schreiben das Jahr 1972. In Münster fand eine Demonstration statt. Nicht irgendeine, es war die erste Demo von Schwulen und Lesben und Deutschland. Während viele andere Errungenschaften und Preise der Domstadt gerne präsentiert werden, gehen die Stadtoberen mit diesem Detail der Geschichte eher zurückhaltend um. Doch alle, die bei diesem Thema gerne weggucken, müssen bald ganz stark sein: Die Schwulenbewegung kehrt zurück nach Münster, und das extrem offenherzig. Die Ausstellung „Homosexualität_en“ soll ab Mai im Landesmuseum gezeigt werden. Zurzeit ist sie im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum in Berlin zu sehen. Das will was heißen. Und doch wird die Ausstellung die Stadt spalten: Die einen werden begeistert sein, die anderen versuchen, das ganze zu ignorieren, einige werden die Ausstellung hassen. Das Museum rechnet mit 50.000 Besuchern.


Schon das Plakat provoziert: Eine halbnackte Frau, der man gar nicht so genau ansieht, ob sie eine Frau ist. Irgendwie spannend, irgendwie befremdlich. Selbst für das ach so freizügige Berliner Publikum war das starker Tobak. Die Verantwortlichen verschickten an die vielen Kritiker vorformulierte Serienbriefe. Zentraler Punkt: (Homo-)Sexualität ist uneindeutig. Geschlecht auch.

Zu sehen auch: Der Elektroschocker, mit dem früher Schwulen ihre Neigungen ausgetrieben werden sollen. Utensilien aus Schwulen-Darkrooms, Dokumente über den Umgang mit Homosexualität im „Dritten Reich“. Und natürlich Bilder von der ersten bundesweiten Schwulen-Demo in: Münster. Heute wird der LWL-Kulturausschuss die Ausstellung beschließen. Die entsprechenden Infos stehen seit Wochen öffentlich im Internet. Haben aber bisher niemanden interessiert.

Die Ausstellung „Homosexualität_en“ / Foto: DHM Berlin

Das Landesmuseum wenigstens kann sich über den Coup freuen. Das Museum hat spätestens mit dem Neubau jegliche Prüderie abgelegt. Spätestens seit der Ausstellung „Das nackte Leben“, und allerspätestens, als der münstersche Nudistenclub splitterfasernackt durch die Ausstellung laufen durfte, war klar: Da hat sich was verändert. Dass die profane Comicfigur „Grüffelo“ jüngst eine Sonderausstellung im hohen Tempel der Kunst bekam, passt ins Konzept der neuen Offenheit.


„Homosexualität_en“ wird provozieren, und befremden und vielleicht viele schamhaft wegschauen lassen. Oder heimlich hinschauen…

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