Von , 10.02.2016

Stefan Bergmann - „Ruck-Rede“ wurde genannt,

Stefan Bergmann

„Ruck-Rede“ wurde genannt, was Ihre Magnifizenz Ursula Nelles jüngst beim Neujahrsempfang der Stadt hielt. Das ist, bei aller Wertschätzung, wohl etwas zu viel der Ehre. Gleichwohl: Ihre Botschaft für Münster und dessen Einwohner war für einige schon schwer verdaulich: Nicht lange jammern, nicht lange palavern - sondern machen. Das ist für eine Stadt mit einer ausgeprägten Diskussionskultur schon ziemlich starker Tobak. Sie sagt: Erst über Bauprojekte reden, wenn die Bagger schon an der Arbeit sind. Könnte sie Recht haben?
Ursula Nelles, Chefin der Uni, geht demnächst in den Ruhestand. Sie hat viel erreicht, war eine streitbare und dabei oft siegreiche Natur, und scheut in ihrer Verve auch nicht vor hohen Tieren zurück. Es ist nicht schlau, sich mit Nelles grundlegend zu überwerfen. Sie sah die Sachen stets aus Distanz und mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. Damit schaffte sie es, im Münster der mächtigen oberen Zehntausend (oder oberen Zehn?) dauerhaft wohlgelitten im besten Sinne des Wortes und trotz ihrer oft rustikalen Art.
Also: Es wird zuf viel geredet und geklagt, und zu wenig gemacht: Könnte das die münstersche Krankheit sein? Der Grund, warum in dieser Stadt alles, aber auch wirklich alles, lange dauert? Weil die Politik jedes wegweisende Projekt zerredet und glattschleift, weil jeder Bürger und jeder Ratshinterbänkler sich immer im Recht sieht und kämpft bis zum Umfallen?
Beispiel Alter Fischmarkt. Plötzlich war das Projekt da. Abriss von Deutscher Bank und diverser angrenzender Häuser, Neubau eines neuen Stadtviertels für 40 Millionen Euro. Ein paar politische Ausschüsse sinnierten über die Höhe des Eckhauses, dann konnte gebaut werden. Jahrelang hatten die Investoren, die münstersche Familie Lohmann, im Geheimen geplant. Grundstücke gekauft, Architekten beschäftigt, Ideen mit der Stadtverwaltung abgestimmt. Kein Wort drang an die Öffentlichkeit. Und als es dann so weit war, war im Grunde schon alles beschlossen. Selbst der Gestaltungsbeirat, in Münster ein Garant für harte Entscheidungen im Sinne der architektonischen Gleichmacherei, wagte keine Widerrede angesichts der ausgefallenen Architektur. Nie wäre so ein tolles Stück Stadt entstanden, hätte man es basisdemokratisch entwickelt.
Gegenbeispiel Hafen-Umbau: Diskussionsrunde um Diskussionsrunde veranstaltet die Stadt. Jeder durfte mitreden, mehrfach. Schnell waren die Kernforderungen klar: So wenig Veränderung wie möglich, so viel wie nötig. Was hat’s gebracht? Eine jahrelange Verzögerung, und zum Schluss wird doch fast nichts so, wie es sich die Anlieger wünschen. Das war Bürgerbeteiligung ad extremum, und dazu noch ohne Folgen.
Ja, Nelles hat Recht. Weniger reden, mehr machen. Das sollte die Devise in Münster künftig sein. Doch man kann es auch zu weit treiben: Wer Bürger und ihre Sorgen künftig nicht ernst nimmt, kann real scheitern, selbst mit Millionenprojekten. Und das nicht an Gesetzen oder Bürokratie - sondern an mangelnder Kommunikationsfähigkeit. Die richtige Mitte zu finden zwischen Sprachlosigkeit und dem Kotau vor dem Bürger.


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