Von Manni, 22.04.2020

Das Virus swingt nicht – Musik in Zeiten von Corona

Auf der Suche nach Plan B

(mex) Natürlich kann man sich anpassen. Mit sich verändernden Realitäten hat es wohl jeder Mensch Zeit seines Lebens zu tun. Den Beitritt ins Schulleben, die Entlassung in die Arbeitswelt, das Übernehmen von gesellschaftlicher Verantwortung, all das ist begleitet von heftigen Einschnitten und Konsequenzen. Die meisten von uns haben da bereits einiges hinter sich und vieles doch zumeist mehr der weniger elegant, sprich erfolgreich abgewickelt. Nicht unbedingt immer von heute auf morgen, aber „in the long run“ läuft es doch. Veränderungen, wie wir sie bisher im Alltag kennengelernt haben, stellen Herausforderungen, bieten Möglichkeiten und sind zumeist vorherseh- und berechenbar. In der Regel gibt es die Chance des langsamen Hineinwachsens, des „learning by doing“. Auf diesem Wege vorgenommene Richtungswechsel, Niederlagen und Neuanfänge mögen schmerzhaft und anstrengend sein, doch durch soziale Strukturen und alternative gesellschaftliche Angebote lässt sich vieles auffangen. Anders sieht die Situation bei privaten Katastrophen wie Trennung, Krankheit oder Verlust aus. Wenn rationale Überlegungen von emotionalen Extremzuständen überlagert werden, der Schockzustand der Status Quo ist, da sind es dann Familie und Freunde, die gefragt sind und helfen können, im wenig tröstendem Falle ist es manchmal auch nur die Zeit.
Im Moment erleben wir eine gänzlich andere Art der Wirklichkeitsverschiebung. Sie ist nicht einer individuellen oder privaten Entwicklung geschuldet. Auch ist es nicht ein allgemeiner gesellschaftlicher Fortschritt, der schleichend oder explosionsartig herausfordert. Es ist ein grenzenloser Virus, der zugeschlagen hat. Unangekündigt (ok, im Nachhinein gibt es natürlich einige, die es schon immer wussten), rücksichtslos und allgegenwärtig global. Mit dem Ergebnis des Shutdowns, wie wir ihn gerade erfahren.
Und urplötzlich heißt es: Plan B muss her. – Das ist richtig, schön und gut. Wer planen will, braucht Eckpunkte. Fahre ich in den Urlaub überlege ich mir vorher wahrscheinlich: 1. Wann? 2. Mit wem? 3. Wohin? 4. Was kostet? Im aktuellen Fall ist es da schwierig, die Antworten würden vielleicht lauten: 1. Ab sofort und keiner weiß wie lange. 2. Mit allen. 3. Wenn ich das wüsste. 4. Kein Kommentar.
Der Faktor Zeit also spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Wie es scheint, wird das Leben mit Corona eine längere Angelegenheit, im Zweifelsfalle ein Zusammensein bis zur Impfung. Das sind also noch ein paar Monate und ehrlich gesagt, das Business in dem ich mich bewege wird beim Lockern von Maßnahmen nicht in der ersten Reihe stehen.
Also, von meiner Tätigkeit bei der nadann... einmal abgesehen, hier schreibe ich Kinotexte und verteile dazu einmal pro Woche Hefte per flottem Elektro i3, bin ich Musiker. Was macht man als Musiker, was ändert sich, wie kann man eventuell reagieren? Die gute Nachricht, schon vor Beginn der Krise waren grob geschätzt 90 Prozent der Arbeit (Üben, Schreiben, Proben, Organisieren, etc. pp) unbezahlt. Die schlechte: Aktuell sind es 100 Prozent. Spaß beiseite aber so sieht es aus.
Üben geht noch, schreiben auch. Proben scheitert am neuen Hygienekonzept und organisieren macht nur Sinn, wenn es was zu organisieren gibt. Und das ist das aktuelle Hauptproblem: das Spielen fällt aus. Nicht das kitschige „Freude schöner Götterfunken“ vom Balkon herunter, sondern das kommerzielle, in dafür vorgesehenen kommerziellen Einrichtungen wie Clubs und Konzerträumen oder auch bei Veranstaltungen privater oder geschäftlicher Natur. Schicht im Schacht. Ofen aus. Zappenduster.
Da jetzt drum herum den Plan B zu justieren ist sicherlich keine leichte Angelegenheit. Aber wo eine Mauer ist, da ist auch ein Loch. Wer es findet, gebe mir bitte Bescheid. Klar, Humor hilft immer. Quengeln nützt gar nichts. Was auf jeden Fall geht, ist eine gute Vorbereitung auf den Tag einer eventuellen Maueröffnung. Nicht, dass es mir, trete der Fall wirklich ein, dann so ergehen wird, wie vielen Mitbürgern vor rund 30 Jahren, die überrascht und überhastet mit kleinen knatternden Autos zum Kudamm eilten, um die wenigen ersten Kröten sinnlos zu verprassen, nur um festzustellen, dass eine Banane allein auch nicht unbedingt einen schlanken Fuß macht.


Alle Musiker, davon kann man ausgehen, warten auf diesen Tag. Doch einige Kollegen haben auch schon neue Wege gefunden und probieren diese aus, um das Warten möglicherweise zu verkürzen und zudem eventuell sogar finanzielle Erleichterung zu erfahren. Frei nach Andy Brehme sage ich nur ein Wort: Live Music Streaming. Die Nachricht kam von Karl Schloz (Gitarre) und Stuart Kemp (Bass), zwei befreundete Musiker mit denen ich einst des Öfteren Gelegenheit hatte, gemeinsam zu musizieren. Tatsächlich, das ging damals völlig unkompliziert. Die Älteren werden sich erinnern, man traf sich mit seinen Instrumenten, packte aus, zählte ein und machte Musik - lang lang ist´s her.
Donnerstags treffen sich die beiden und gestalten ein Wohnzimmer derart um, dass ein korrekter Sicherheitsabstand gewährleistet werden kann. Das ist beim Musizieren mit Saiteninstrumenten wohl deutlich einfacher als bei Blasinstrumenten. Als Saxophonist*in hat man es deutlich feuchter, da sprüht es doch recht unanständig rechts und links am Mundstück vorbei. Wer einmal bei einem Archie Shepp Konzert in der ersten Reihe gesessen hat, kann sicherlich ein Lied davon singen.
„Jazz Thursday“ nennt sich die Veranstaltung von Karl und Stuart und ist live zwischen 19 und 20 Uhr auf You Tube und Facebook zu verfolgen. Zu erwarten sind sicherlich wunderbare Klänge, dafür garantieren die Musiker. Für die Stimmung zu Hause ist man zum großen Teil selbst verantwortlich. Auch das ist ein Vorteil der Krise, die Schuld liegt niemals beim Kellner.
Also, das richtige Getränk bereitgestellt, ein wenig was zu knabbern und bereit sein für Live Jazz. Ich bin gespannt, freu´mich drauf und drücke die Daumen für ein gutes Gelingen - Donnerstag, 23. April, 19-20h.
Mit Hilfe eines gewissen Pay Pal gibt es im Anschluss die Möglichkeit, Vergnügen und Wertschätzung auch angemessen und lautlos zu honorieren. In der vergangenen Woche allerdings musste eine schon angekündigte Übertragung leider ausfallen, da kurzfristig der mit der notwendigen Technik versorgende Anbieter in die Knie ging.
Ein kleines Indiz dafür, dass auch die elektronische Infrastruktur den Anforderungen der neuen Wirklichkeit noch nicht vollständig gewachsen ist. Abwarten, beobachten, den Plan entwickeln und bitteschön gut drauf bleiben.

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Manfred Wex
Musiker (u.a. Walking Blues Prophets)
seit 35 Jahren nadann…
Münsteraner in Berlin
manfred.wex@nadann.de

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