Von Manni, 01.04.2020

Grüße von der Insel

(mex) Eigentlich ist es ja gar keine richtige Insel, hier wo ich wohne. „Rote Insel“ nennt sich die Gegend im Bezirk Schöneberg. Rot, weil die Anwohner hier traditionell eher „links“ orientiert sind und sich beispielsweise die SPD seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in diesem Siedlungsgebiet sogenannter „kleinen Leute“ einen überproportional hohen Stimmenanteil sichern konnte. Und Insel? Tja, die Lage macht’s. Trotz Abwesenheit unüberwindbaren Wassers, macht sich doch eindeutig ein gewisses Isolationsfeeling breit. Eingequetscht zwischen S-, Eisenbahnlinien und Hauptstraßen hat sich ein fast abgeschlossenes Viertel entwickelt, das eigentlich nur für Anwohner interessant ist.

Ein von Touristen praktisch unentdecktes Kleinod im Stadtplan der überwiegend aufgeregten Hauptstadt. Allerdings verbergen sich auch hier, in den fünf bis sechs Straßen der Nachbarschaft, einige nennenswerte Attraktionen. Hildegard Knef hat hier gelebt, direkt nebenan. Und keine 200 Meter weiter die Straße hinab befindet sich das Geburtshaus Marlene Dietrichs. Julius Leber traf in der Torgauer Straße Gleichgesinnte aus dem Widerstand gegen die Nazis. Der Ort, eine ehemalige Kohlenhandlung, ist noch heute zu besichtigen. Auch Alfred Lion Gründer des legendären Labels „Blue Note Records“, von dem hier später auch noch die Rede sein wird, stammt von hier. An ihn erinnert eine kleine Brücke, über die man die Insel dann in die große weite Welt verlassen kann.

Das waren noch Zeiten, als man noch spielerisch Überlegungen anstellte, was man wohl mitnähme, würde man eine längere Zeit alleine auf einer Insel verbringen müssen. Getrennt von allen Sozialkontakten, rausgerissen aus täglicher Routine, weit weg von der Aussicht auf das rettende Ufer des Festlandes. So richtig ausgemalt hat man sich diese Art von Situation eigentlich nie. Vielmehr galt die Prämisse der Isolation eher als Ausgangspunk dafür, darüber nachzudenken, was wirklich unentbehrlich ist im Alltag, welchen Verzicht man sich möglichst niemals würde zumuten wollen. Kurz: Was ist wichtig im Leben und was muss mit?

Das Achterpack Toilettenpapier stand da bei den meisten wohl ebenso wenige auf der Liste, wie 10 x 42 Gramm frische Hefe oder hässliche Masken der Güteklasse FFP3. Nein, bei der Frage der Inselrelevanz ging es eher um die wirklich schönen Dinge, vornehmlich um Musikaufnahmen und Bücher. Und so wurde beispielsweise das Prädikat „Inselplatte“ zum Gütesiegel der Enthusiasten, zur Aufforderung an Alle, es mit dem empfohlenen Tonträger doch einmal zu versuchen.

Ein realer Aufenthalt auf einem kleinen Eiland mit Palme, Wrackteilen eines Rettungsbootes am Bilderbuchstrand und ungehinderte Aussicht auf endlose See wurde niemals ernsthaft mitgedacht, die imaginäre Inselsituation fungierte stets als gutmütige Metapher und inspirierender Auftakt für eine amüsante Spielerei. Nun, Insel war gestern. Die eigenen vier Wände das neue Heute. Hätte man nicht gedacht. Isoliert daheim. Allein, mit sich, mit Partner*in, WG-Mit be-wohner*in, Familie, Oma und Opa, Kind und Kegel ... Was also tun rund um die Uhr. Wie könnte sie aussehen, die neue Struktur des Alltages? Saubermachen, Entrümpeln, Anträge suchen und ausfüllen, ... jaja, ist klar. Und sonst? Wie wäre es denn also mit der Konkretisierung der „Insellisten“?

Für die Inselliste: McCoy Tyner – The Real McCoy, Blue Note Records

Kein Problem, hinein ins Vergnügen: Als am 6. März der amerikanische Musiker Mc-Coy Tyner starb, trauerte die Musikwelt um einen der einflussreichsten Pianisten des modernen Jazz. 81 Jahre ist er alt geworden. Fast unglaubliche 60 Jahre ist es her, dass Tyner mit John Coltrane, Jimmy Garrison und Elvin Jones mit dazu beigetragen hat, den Jazz neu zu definieren. Im Übrigen mit nicht unerheblichen Auswirkungen auf Rock- und Popmusik. Als Coltrane sich Mitte der 60er Jahre immer weiter in freiere musikalische Gefilde vertiefte, endete die spektakuläre Zusammenarbeit. McCoy, noch keine 30, entwickelte seine eigenen musikalischen Ideen, als Improvisator, Komponist und Bandleader. Am 21. April 1967 begab sich McCoy Tyner in Rudy van Gelders legendäres Ton-studio auf der anderen Seite des Hudson Rivers und nahm seine erste eigene Platte für das Label Blue Note (remember? Alfred Lion) auf. Damals an seiner Seite: Der Saxo-phonist Joe Henderson, gerade selbst auf dem Sprung in eine neue künstlerische Phase, Bassist Ron Carter, aktuelles Mitglied des epochalen Miles Davis Quintetts und Schlagzeuger Elvin Jones, der Kollege aus der Coltranezeit, mit dem es Tyner gelungen war, aus achtundachtzig Tasten und einer gehörigen Anzahl Becken und Felle ein ein-ziges großes, perfekt synchronisiertes Ins-trument zu bilden. Das Resultat dieses 53 Jahre zurückliegenden Frühlingstages: „McCoy Tyner: The Real McCoy / Blue Note Records“. 5 Songs, 5 Evergreens – ein ewiger Fixpunkt im Firmament des Jazz. Der wahre Jakob. Hört doch mal rein. In einer Zeit wie diese und in allen anderen.


Kino in Zeiten der Krise

Apropos „die wirklich schönen Dinge des Lebens“. Was ist eigentlich mit Kino? Zu ist. Kein Programm, keine Kritiken, kein Popcorn? Ok, zumindest das Popkornproblem scheint in Münster durch den @home-Lieferservice der Firma Cineplex gelöst. Aber ansonsten nur Netflix, Amazon, Youtube? Aber nein, ein kleiner Verein kinobegeisterter Menschen in Berlin kämpft aufrecht für die Verfügbarkeit des alternativen Films. Das „Arsenal – Institut für Film- und Videokunst e.V.“ ist beheimatet im Sony-Center am Potsdamer Platz. Monat für Monat präsentiert es dem interessierten Publikum ein attraktives Programm erlesener Filmkunst. Mit der Schließung der Kinos war es das dann erst einmal. Doch nun geht der Verein online. Mit dem Einverständnis aller involvierter Filmemacher*innen setzt das Arsenal sein Programm fort. Kostenlos im Netz. Unter www.arsenal-berlin.de haben wir alle die Wahl aus einem bunten Strauß außergewöhnlicher Filme ein wenig Abwechslung in unseren Bildschirmalltag zu bringen.

na dann..., bleibt gesund.


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Manfred Wex
Musiker (u.a. Walking Blues Prophets)
seit 35 Jahren nadann…
Münsteraner in Berlin
manfred.wex@nadann.de

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