Von Manni, 08.07.2020

Grüße von der Insel #13

(mex) Woche 16 im Corona-Zeitalter, kommt das in etwa hin? Das Zeitgefühl geht ein wenig verloren. Entbehrung und Verzicht, Trotz und Ärger, Distanz und Telko, die Eckpfeiler der neuen Wirklichkeit haben wohl bei jedem einzelnen von uns ihre Spuren hinterlassen. Man motzt, resigniert, findet sich ab, erkennt am Horizont Silberstreifen, wird gleichgültig, kämpferisch, frustriert, entwickelt Trotz und Zorn, sucht nach Schuld, hofft auf die Medizin, ist dankbar für Hilfe, leugnet, streitet, ätzt und, ah... kann es auch alles nicht mehr hören. Alle leiden unter den vielfältigen Zumutungen, die im Zuge dieser unsäglichen Virusausbreitung zum Alltag der Menschheit geworden sind. Aber leiden alle gleich? Einige mehr, andere weniger? Diese zu Recht und jene übertrieben? Frag mal den Blickwinkel.

Und doch, so der Tenor, der in der allgemeinen Wahrnehmung einigermaßen konsensfähig ist, die Kinder, die haben es besonders schwer. Das schlimme Schulchaos, so hört man, belastet die Heranwachsenden. Die Eltern haben die Kleinen zu Hause, das gewohnte Familienleben gerät aus dem Gleichgewicht. Reibungslose Erziehung sieht anders aus. Es knirscht und stöhnt das Eigenheim, es kracht und knallt die Zweizimmerwohnung. Schön ist das nicht. Versäumnisse der Politik werden offenbar und Zeigefinger finden Verantwortliche. Hilft aber nichts, denn zu spät ist zu spät, der Karren steckt wohl schon im Dreck. Die Eltern haben es schwer und die Kinder erst recht. Nun ist der Textanteil zu diesem Thema auf Seiten der Eltern relativ hoch. Man versteht ihre Lage und wünscht daher nichts mehr, als dass ihnen geholfen werde. Wie man dieses im Übrigen natürlich allen wünscht, bei denen die aktuellen Schwierigkeiten das Wasser langsam Richtung vielzitierter Oberkante Unterlippe ansteigen lassen. Deutlich seltener kommen in diesem Zusammenhang jedoch die Kinder selbst zu Wort. Immerhin sprechen wir über selbstständige Wesen mit Wünschen, Ängsten, Hoffnungen und Meinungen. Lasst mal hören Kids, wie findet ihr 2020 bis hierher? Nun, hat man keine eigenen zu Hause, so sind die Gelegenheiten der detaillierten direkten Wahrnehmung relativ rar. Umso erfreulicher, dass sich am vergangenen Wochenende die Möglichkeit ergab, einmal drei ausgesprochene Prachtexemplare der jüngeren Generation zu diesem Thema zu befragen. Ich hatte das Vergnügen James und Luciano B. (16 und 12 Jahre, Namen von der Redaktion geändert), ein Brüderpaar aus Berlin Neukölln (Stadtteil auf Wunsch von James von der Redaktion geändert) und die zehnjährige Emma M. aus Berlin Schöneberg zu treffen. Limo auf den Tisch und los geht´s.

Selbstportrait mit Virus: Emma

Frage: Sagt doch mal, wie war das denn für Euch, als es auf einmal hieß, die Schule schließt und ihr müsst jetzt zu Hause lernen.
Emma: Also für uns kam das doch sehr plötzlich. Wir waren in der Woche davor gerade noch auf Klassenfahrt. Und als wir zurückkamen und unseren Eltern eigentlich von unseren ganzen Erlebnissen erzählen wollten, hieß es auf einmal nur noch Corona, Corona, Corona. Und dann hat die Schule auch schon geschlossen.


Frage: Und dann musstet ihr auf einmal zu Hause lernen.
Luciano: Da mussten wir mit unseren Eltern lernen, das war gar nicht so einfach. Die mussten ja auch arbeiten und hatten ganz schön Stress.
James: Wir haben dann täglich Material für etwa 4 Stunden Arbeit bekommen. Ich brauchte die Eltern nicht zu fragen und konnte alles einigermaßen selber erledigen. Bei Fragen konnten wir unseren Lehrern eine E-Mail schicken. Ich habe das schon alles allein hinbekommen, am Ende musste man das ja auch abgeben. Und zweimal in der Woche gab es Face-Time-Unterricht. Aber da war man ehrlich gesagt auch nur halb anwesend. Ich habe eindeutig das Gefühl, dass man in dieser Zeit weniger lernt. Aber ich glaube, dass man, wenn die Schule wieder normal läuft, vieles nachholen kann.
Luciano (lächelt): Ja genau, kann man doch alles aufholen.
Emma: Ich finde, das Lernen in der Klasse macht mehr Spaß. Zu Hause muss man alles alleine machen. In der Schule ist es so, wenn ich etwas nicht weiß, dann weiß es jemand anderes. Oder umgekehrt. Zu Hause muss ich alles machen. Und auch alleine.
Luciano: Am besten war es jetzt in den zwei Wochen vor den Ferien. Da mussten wir einen Tag in die Schule und der nächste Tag war frei. Das war nicht so stressig wie vorher.

Während sich die drei mit den erschwerten Bedingungen ihres Lernalltages wohl noch einigermaßen arrangieren konnten waren sie sich einig darin, was das größte Problem der kontaktfreien Zeit für sie darstellte.

Frage: Was war denn das Härteste für Euch in der letzten Zeit?
Luciano: Am meisten vermisst habe ich meine Freunde.
Emma: Ich finde auch, besonders in den ersten Wochen, als alle noch ein bisschen mehr Angst hatten, jetzt ist ja alles schon wieder lockerer, war es echt komisch, dass man seine Freunde nicht treffen konnte. Ich finde für die Kinder, die Geschwister haben ist es leichter, weil sie mit ihren Geschwistern was machen können. Aber Einzelkinder wie ich wussten oft nicht was sie machen sollten, wenn Papa Videokonferenzen hatte und Mama im Büro war. Meistens habe ich gelesen oder gepuzzelt.
James: Also ich habe meine Brüder jetzt nicht viel mehr gesehen als sonst. Ich war auch viel auf meinem Zimmer. Der große Unterschied war, dass Papa den ganzen Tag zu Hause war. Aber der hat auch bis abends gearbeitet. Dann haben wir alle zusammen gegessen und später oft noch einen Film zusammen geguckt. Das war alles okay und gut. Aber ich muss auch sagen, das Schwierigste war echt, meine Freunde nicht sehen zu können.

Frage: Wie war das denn mit den ganzen Einschränkungen. Mund-Nasenschutz, Distanz halten, Hygiene usw?
James: Ne, das hat mich nicht gestört, es musste ja wohl sein. Und geholfen hat es ja wahrscheinlich auch...
Luciano: Nein genau, die Regeln und die Masken haben mich auch nicht gestört. Sie waren halt notwendig. Ob ich die im Geschäft auf habe oder nicht ist mir eigentlich egal. Und mit dem Bus fahr ich nicht, ich mache alles mit dem Fahrrad.
Emma: Für mich ist das auch ok mit der Maske. Aber einmal waren wir 2 Stunden bei Karstadt, das war so schlimm. Wir hatten die ganze Zeit diese Masken auf, das war echt schlimm mit der Luft. Ich hab´ dann meinen Lieblingssatz aus der Coronazeit gesagt: „Ich krieg gleich ´nen Nervenzusammenbruch“ (lacht). Für die Sicherheit war das ok. Das hab´ ich schon verstanden, aber es war auch schon ganz schön nervig.

Selbstportrait mit Virus: James

Frage: War denn sonst noch etwas richtig nervig?
James: Also ich habe mich über zwei Sachen echt geärgert. Erstens sollte ich jetzt eigentlich ein Auslandsschuljahr in den USA machen, das fällt jetzt erst mal aus. Keine Ahnung, ob und wann das nachgeholt werden kann. Und was ich echt nicht gut fand, und das geht auch vielen Freunden so, mit denen ich mich darüber unterhalte, dass man, wenn man anfangs rausging fast nur auf ältere Menschen trifft, die die Regeln nicht ernstnehmen. Sie gehören ja doch zur Risikogruppe und zu ihrem Schutz hat man ja eigentlich den Lockdown auch gemacht. Die wollen es echt nicht einsehen und sich auch nichts sagen lassen und sind bockig. Das ist schon nervig.


Frage: Eine Frage noch zu den Hygieneregeln in euren Schulen, hat man Euch da alles erklärt und sind die auch eingehalten oder kontrolliert worden?
Luciano: Also bei uns gab es keine Seife. Und auf Distanz hat man auch nicht so geachtet. Ein Lehrer hat sich direkt neben mich gesetzt und auf mich eingeredet.
James: Doch, Seife gab es schon bei uns. Und zwei Desinfektionsmittelspender. Aber keine Papierhandtücher.
Emma: Wir haben alle einen Brief bekommen wo die Regeln drinstanden. Auf dem Weg zum Klassenraum hatte man den Mundschutz auf, Im Unterricht war das freiwillig. Und man hatte eine ganze Sitzreihe für sich. Von dem vielen Waschen hatte ich ganz raue Hände. Immer zwei Mal Happy Birthday. Mama hat mir dann eine Creme gegeben, dann wurde es besser. Und mit der Zeit habe ich auch mal fünf Sekunden weggelassen.

Selbstporrait mit Virus: Luciano

Frage: Noch eine letzte Frage. Gab es in dieser komischen Coronazeit bisher auch Dinge, von denen ihr sagen würdet, dass sie gut waren?
Emma: Also ich habe in den letzten Wochen viel Geld gespart. Statt mir am Kiosk Süßigkeiten oder anderes zu kaufen, habe ich mein Taschengeld immer in die Spardose geworfen. Außerdem habe ich mich Sachen getraut, die ich noch nie vorher gemacht habe. Ich habe zum Beispiel ein paar große Tausender-Puzzles zusammengelegt. Das war echt schwer und hat lange gedauert. Ich glaube, das hätte ich ohne Corona nicht gelernt.
James: Naja, ich habe mein Zimmer gestrichen und wir haben alle zusammen ein Kinozimmer eingerichtet. Außerdem fand ich es sehr gut einmal eine Zeit lang gar nichts zu tun (außer Schulaufgaben natürlich). So ganz ohne Stress und Termine, das war echt nicht schlecht.
Ansonsten glaube ich ehrlich gesagt nicht unbedingt daran, dass viel Positives in die Zeit nach Corona mitgenommen wird. Man sieht ja jetzt schon, dass viele Leute wieder fliegen wollen, in den Urlaub und so. Ich würde ja auch in die USA fliegen.
Luciano: Ganz ehrlich? Nein! Da war nichts Gutes dabei.


Frage: Noch ein letztes Wort vielleicht, etwas Wichtiges?
James: Na klar: Erst Müsli, dann Milch!
Es war mir ein Vergnügen.

Danke.
Bitte, bitte und bitte!

Okay, witzig sind sie auch, die Corona-Kids. Und malen können sie, wie man an den tollen Selbstportraits sieht. Mit vielen erhellenden Eindrücken, Einsichten und Ausblicken endet ein bunter und lehrreicher Nachmittag mit drei positiven und aufgeweckten Kids, der Hoffnung macht, dass zumindest diese drei unsere schwierige Zeit mit all ihren Nebenwirkungen ohne größere Schäden überstehen könnten. Und eine unerreichbare Sehnsucht schimmert einmal wieder durch: Kind müsste man sein.

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Manfred Wex
ist seit 35 Jahren bei der nadann… , Musiker (u. a. Walking Blues Prophets) und lebt in Berlin.
manfred.wex@nadann.de

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