Von Lea Steffens, 05.08.2020
Die Haussammlerin
Wohnen ist ein Menschenrecht, habe ich mal gelesen, aber wohnen ist viel mehr, das weiß jeder, der dieses kleine Heft aufschlägt, voller Hoffnung, Träume und Sehnsucht. Wohnen ist ankommen, geborgen sein im besten Falle, zuhause sein.
Zeige mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist, lautet ein altes Sprichwort. Wohnen kann Erfüllung sein, Ausdruck der eigenen Persönlichkeit oder funktioneller Raum für eine bestimmte Zeit im Leben. In diesen Zeiten ist der Wohnraum, mit dem das Wohnen untrennbar verwoben ist, ein besonderer Ort geworden, eine Höhle vielleicht, in der man um das (Herd-)Feuer sitzt, allein, mit Familie oder Freunden und auf bessere Zeiten, besseres Wetter oder reife Tomaten auf dem Balkon wartet.
Für mich war diese Stätte des Wohnens schon lange etwas Besonderes, nicht nur mein eigenes, in den letzten 15 Jahren oft gewechseltes Zuhause. Aus der Großstadt kommend, verschlug es mich vor langer Zeit in ein kleines, verschlafenes Dorf in den Bergen, das sich bei näherer Betrachtung als lebhafter herausstellte, als so manches anonyme Stadtviertel. Allein, es fehlte an baulicher Schönheit und Stimmigkeit, innen wie außen. Ein echtes Dorf steckt oft voller Individualität, man sieht es nur nicht so, weil Häuser nicht per se kernsaniert und glattgeschliffen werden. Später landete ich in einer winzigen westfälischen Stadt, reich an Geschichte, die bis ins Mittelalter reichte, wie meine Heimatstadt. Ja, ich unterscheide zwischen Heimat- wo meine Wurzeln sind, wo ich herkomme- und meinem Zuhause, wo ich ankomme, bleibe oder nur verweile. Das westfälische Fachwerk ist wunderbar, aber es wohnt sich nicht immer modern darin. Niedrige Decken, alte Balken, knarrende Böden und kleine Hinterhöfe füllen die alten Gemäuer mit Geräuschen und erzählen ihre eigene Geschichte, denen die Bewohner seit Jahrhunderten lauschen. Und dann kam- auf Umwegen- Münster, diese reiche und vielfältige Stadt und ich wohnte im Norden, in den umgebauten Kasernen. Man ist schnell draußen in der Natur, schnell drinnen im Theater und hat doch meist Geld übrig, beides auch zu genießen. Und dann zog es mich erneut fort, diesmal vor die Tore der Stadt, zu weit für’s Rad, nah genug, um noch die Vorzüge (oder Vorortzüge) derselben nutzen zu können.
Womit ich wieder zum Kern dieser Geschichte zurückkehre. Ich habe auf der Suche nach einem Zuhause so manche Wohnstätte von innen gesehen und habe angefangen, Wohngeschichten anhand der Architektur zu sammeln. Angefangen vom ehemaligen Gefängnis, das heute aufgrund von Denkmalschutzauflagen eine Wohnung mit sehr kleinen Fenstern ist. Von alten Stadtmauerstücken, die durch die Vorratskammer laufen und im Boden noch sichtbar sind. Und von Neubauten, die von der Miete her für Menschen mit dem statistischen Durchschnittseinkommen in diesem Land nur für zwei Vollverdiener mit einem Kind konzipiert sind und kaum Rückzugsorte für die Erwachsenen bieten. Wo der Balkon auf die große Straße hinaus reicht und der gemeinschaftliche Flur nach luxuriöser Klinik aussieht. Münster ist etwas Besonderes, wie viele Städte, in denen die mittelalterliche Innenstruktur noch erhalten ist, wie in diesem Fall mit der Promenade, die aus der alten Befestigung hervorging. Und zu dieser grünen Lunge kommt noch der künstliche Aasee, der Luft und Temperatur in der bebauten Stadt beeinflussen kann.
Zu meinem Hobby gehört es, den Immobilienmarkt in Münster und Umgebung recht genau zu beobachten, ohne dass ich einen Bedarf daran hätte. Alte Häuser verschwinden und machen Platz für Neubauten mit mehreren Wohnungen und offenen Grundrissen, die kleinen Räume der Nachkriegszeit für die großen Familien sind den heutigen Bedürfnissen nicht mehr angepasst und die Küchen zu eng für die repräsentativen Zusammenkünfte. Schade um die Geschichten, die dort wohnten, doch die Zeiten ändern sich und Wohneigentum ist meist Privatsache. Trotzdem finde ich den Gedanken an eine Vergabe von Grundstücken der öffentlichen Hand nur für einen begrenzten Zeitraum [Erbpacht etc.] an Privatunternehmen richtig, weil so die Durchmischung einer Wohnanlage besser funktioniert. Wäre es nicht schön, wenn die Klavierlehrerin des Kindes keinen Parkplatz suchen müsste und die Putzkraft nur drei Häuser weiter wohnt und abends noch mal eben den Flur wischen würde, wenn spontan Gäste kommen? Und der Großvater im hohen Alter problemlos in die Stadt seiner Kinder ziehen und die Miete mit seiner gesetzlichen Rente [derzeit 48% des durchschnittlichen Einkommens vor der Rente] bezahlen könnte?
Geschichten werden von Menschen erzählt, die an einem Ort zuhause sind, deren Hecke im Winter licht wird und der Zeit für sein Viertel, seine Nachbarn hat. Der seinen Vorgarten mit Blumen bepflanzt, an denen sich auch andere freuen können und der seine Augen vom Handy hebt und ins Leben blickt, das uns umgibt. Doch das ist eine andere Geschichte.